MfS-Bericht über den Fluchtversuch von Heinz Sokolowski, 25. November 1965 (Auszug)

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BStU - MfS-HA-XXII-18536_36 Gedenkkreuz am Reichstag. Foto: © Ralf Gründer BStU - MfS-HA-XXII-18536_37

 

Grenzdurchbruch mit tödlichem Ausgang im Bereich, der 1. Grenzbrigade des 35. Grenzregimentes zwischen Brandenburger Tor und Klara-Zetkin-Straße an der Staatsgrenze der Hauptstadt

Durch die Angehörigen des o.g. Grenzregimentes

Soldat S (...), Gefr. K (...) und Soldat M (...)

wurde in den Morgenstunden des 25.11.1965 gegen 4.50 Uhr im Bereich der Staatsgrenze zwischen Brandenburger Tor und Klara-Zetkin-Straße der Grenzverletzer

Sokolowski, Heinz

geb.: 17.12.1917 Frankfurt/O
Beruf: Journalist

zuletzt tätig: als Fahrstuhlführer beim VEB Treffmodelle Berlin Lichtenberg

wohnh.: 1055 Berlin (...)

bei dem Versuch gestellt, unter Verwendung von mitgeführten Hilfsmitteln die Staatsgrenze in Richtung Westberlin zu durchbrechen. Nach Abgabe von Warnschüssen (1 Schuß Einzelfeuer, 4 Schuß Feuerstoß) reagierte der Grenzverletzer nicht, sodaß insgesamt 3 gezielte Schüsse aus einer MPi-K auf den Grenzverletzer abgegeben wurden, um die Grenzverletzung zu verhindern.

S. wurde dabei durch einen Durchschuß am Unterkörper schwer verletzt. Die Bergung des Grenzverletzers wurde durch die Tatsache behindert, daß auf westberliner Seite sechs Angehörige der Duensing-Polizei mit Maschinenwaffen in Stellung gingen und ein IMG-Posten auf dem Gebäude des Reichstages in Westberlin seine Waffe gegen Angehörige der Grenzsicherungskräfte der DDR richtete. Nach ca 15 bis 20 Minuten war die Bergung und der Transport des Grenzverletzers in das Hinterland erst möglich.

Sokolowski befand sich bereits am 1. Sicherungshindernis, über das er eine Schlafdecke geworfen hatte, um sich beim Überklettern dieses Hindernisses nicht zu verletzen. Eine Seite dieser Schlafdecke war mit Stahldraht versehen, um ein besseres Überwerfen der Decke über Sicherungshindernisse zu ermöglichen. Außerdem wurden in seinem Besitz zwei jeweils ca 2 Meter lange Seile vorgefunden, an deren Enden S-förmige Haken aus Leichtmetall angebracht sind und welche mit Isolierband umwickelt wurden. In den beiden Seilen wurden Schlaufen eingearbeitet, sodaß der Verwendungszweck als Hilfsmittel für Überwindung von Grenzhindernissen klar ersichtlich ist.

Nach der erfolgten Bergung des S. wurde dieser mit einem Sanka der NVA-Grenze auf Weisung des Regimentskommandeurs des 35. Grenzregimentes - Gen. Major K (...) in das Städtische Krankenhaus Berlin-Mitte, Fritz-Heckert-Straße, überführt. Auf dem Transport ist auf Grund der erlittenen Verletzungen der Tod des Grenzverletzers in Folge von Verblutung eingetreten. Durch den Oberarzt - Dr. H (...) - vom genannten Krankenhaus wurde nach erfolgter ärztlicher Untersuchung der Tod des S. festgestellt. Ein Totenschein wurde ausgestellt. Daraufhin erfolgte die Überführung der Leiche zum VP-Krankenhaus. Von dort aus wurde der Abtransport zum Gerichtsmedizinischen Institut in der Hannoverschen Straße, zwecks Durchführung einer Sektion, eingeleitet.

[...]

Eingeleitete Maßnahmen

1) Durchführung einer Sektion im Gerichtsmedizinischen Institut über den Generalstaatsanwalt von Groß-Berlin Abt. I A zur Peststellung der unmittelbaren Todesursache

2) Einleitung aller Maßnahmen zur Bestattung der Leiche des S. durch die Abteilung IX

3) Ermittlung und Aufklärung über die nächsten Angehörigen sowie die in diesem Bericht aufgeführten Verbindungen des S. durch die Abteilung VIII der Verw. Groß-Berlin in Zusammenarbeit mit der Abt. XX

4) Auswertung des bei S. vorgefundenen Schriftenmaterials im Zusammenhang mit denjenigen Materialien, die von der KD Prenzl. Berg im genannten Op.-Vorgang erarbeitet worden sind.

Nach Vorliegen der Ermittlungsergebnisse über die Angehörigen des S. ist zu entscheiden, wer von dem Ableben des S. informiert wird sowie eine Entscheidung darüber herbeizuführen, was mit der Wohnung des S. geschehen soll, dessen Versiegelung und Bestandaufnahme bereits eingeleitet worden ist.

Oberleutnant (Abt. IX)

Quelle: BStU, MfS, AOP 7559/65, Leichensache 7/65, Bl. 3-9

 

In den Gerichtsakten wird der Tod von Heinz Sokolowski (Fall 18 - S. 614-615) wie folgt beschrieben.

 

Fall 18 (Heinz Sokolowski)

Am 25. November 1965 versuchte der am 17. Dezember 1917 geborene Heinz Sokolowski gegen 05.00 Uhr im Bereich zwischen Brandenburger Tor und Clara-Zetkin-Straße durch Flucht die Grenzanlagen nach Berlin (West) zu überwinden.

Als Sokolowski, nach Abgabe eines Warnschusses, weiterhin versuchte, flüchtend die Sperranlagen zu überwinden, wurde auf ihn zunächst ein gezielter Schuß abgegeben. Nachdem anschließend dann ein Warnfeuerstoß abgegeben worden war, wurde wiederum gezielt auf den Flüchtenden, der bereits den Grenzzaun erstiegen hatte, geschossen. Tödlich getroffen fiel dieser vom Zaun.

Bei der am 26. November 1965 erfolgten Leichenöffnung wurden u.a. folgende Befunde erhoben:

„Todesursache:

Ausblutung bei Durchschußverletzung von rechter Leiste und linkem Oberschenkel mit Durchtrennung großer Oberschenkelblutgefäße.

Wie die Obduzenten mündlich erfahren haben, soll der Betroffene in den frühen Morgenstunden des 25. November 1965 versucht haben, die Staatsgrenze in Berlin illegal zu überqueren. Durch von Grenzposten abgegebene Schüsse sei er dabei tödlich verletzt worden.

Die bei der Sektion erhobenen Befunde stehen zu den spärlichen Angaben aus der Vorgeschichte nicht im Widerspruch. Der Todeseintritt ist zweifelsfrei durch eine Ausblutung hervorgerufen worden, die als Folge der Durchschußverletzung mit Durchtrennung der näher beschriebenen großen Oberschenkelgefäße eingetreten ist. Damit besteht ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Schußverletzung und Todeseintritt."

Im Abschlußbericht des Kommandeurs des Grenzregiments 35 vom 25. November 1965 zu diesem Vorfall war u.a. ausgeführt, daß die Handlungen der Grenzposten Brandenburger Tor und Clara-Zetkin-Straße den festgelegten Varianten des Zusammenwirkens entsprochen und den „vollen Erfolg" erbracht hätten. Es war weiterhin ausgeführt, daß die zielgerichtete Anwendung der Schußwaffe durch die im Abschnitt eingesetzten Grenzposten von einer klaren Einstellung zum gegebenen Befehl gezeugt hätte.

Die an der Fluchtverhinderung beteiligten Soldaten wurden zur Belobigung vorgeschlagen.

Quelle: Schwurgerichtsanklage der Staatsanwaltschft bei dem Kammergericht 2 JS 26/90, S. 614-615

 


* „KZ“-Wärter ...

Literatur-Tipps:

Strafjustiz und DDR-Unrecht : Dokumentation. - 2,2. Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze. - 2 / unter Mitarb. von Toralf Rummler und Petra Schäfter. - 2002. - VIII S., S. 500 - 1097.
ISBN 3-89949-007-X

Fahnenschmidt, Willi
DDR-Funktionäre vor Gericht : die Strafverfahren wegen Amtsmissbrauch und Korruption im letzten Jahr der DDR und nach der Vereinigung / Willi Fahnenschmidt. - Berlin : Berlin-Verl. Spitz ; Baden-Baden : Nomos Verl.-Ges., 2000. - XXII, 347 S. ; 22 cm.
(Berliner juristische Universitätsschriften / hrsg. im Auftr. der Professoren der Juristischen Fakultät an der Humboldt-Universität zu Berlin : Reihe Strafrecht ; 5)
Zugl.: Berlin, Humboldt-Univ., Diss., 1999.
ISBN 3-8305-0005-X