Gewidmet all jenen Menschen im anderen Teil unseres deutschen Vaterlandes, vor deren Mut wir uns in Achtung und Würde verneigen und denen doch teilzuhaben an Freiheit und Recht verwehrt ist.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Zur Person
Die Untersuchungshaft
- Haftanstaltsordnung des SSD-Gefängnisses Ostberlin-Kissingenstraße
Prozeß und Haft
- - DDT-Strafgesetzbuch
- - Die Rechtslage
- - Haftbedingungen in Bützow-Dreibergen
Anhang
- Eingabe Hübners an die Volkskammer
- Studie über die Lage der Jugend in der DDR
- Nico Hübner über die Bundesrepublik
- Erklärung vom 14.3.1978
- Antrag der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag
- Aus dem Sitzungsprotokoll vom 7.12.1978
- Beschluß des CDU-Bundesparteitages 19799
- Laudatio auf Hübner anläßlich der Verleihung des Konrad-Adenauer-Preises 1979
Zur PERSON
Nico Hübner wurde am 5. Februar 1956 in Ost-Berlin geboren und stammt bemerkenswerterweise aus einer parteitreuen Familie. Sein Vater, Erwin Hübner (53), ist als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der „Parteihochschule Karl Marx beim ZR der SED“ tätig, seine Mutter ist leitende Redakteurin beim Kinderfunk des Ost-Berliner Rundfunks „Radio DDR“. 16 Jahre lang schien es, als würde Nico Hübner das Modell einer sozialistischen Bilderbuchfamilie zu erfüllen helfen. Mit 14 Jahren trug er - wie alle Jugendlichen irr der DDR - das Blauhemd der „Freien Deutschen Jugend“' (FDJ), und er ertrug die gleichgeschalteten erzieherischen Normen.
{rsmediagallery tags="nicohuebner" thumb_resolution="512x384"}Portrait Nico Hübner
Doch schon sehr frühzeitig verweigerte Hübner das Bekenntnis zum Marxismus-Leninismus. Zu einer Zeit, in der die neue Ost- und Entspannungspolitik ihren Höhepunkt erreicht hatte, zog Hübner das Blauhemd aus und kündigte 1972 als 16-jähriger in einem demonstrativen Akt seine Mitgliedschaft in der FDJ.
Zitat: „All free men, wherever they may live, are citizen of Berlin, and, therefore, as a free man, I take pride in the words: Ich bin ein Berliner.”
John F . Kennedy (Berlin am 26. Juni 1963)
lm September 1972 wurde er wegen Betretens des Grenzgebietes aus der Tschechoslowakei ausgewiesen. Damals entzog mag ihm den Personalausweis für vier Jahre. Er erhielt einen sog. „PM-12“, einen Art Hilfsausweis. Damit wird jeder automatisch zum Bürger zweiter Klasse degradiert. Auslandsfahrten sind einem PM-12-Besitzer verboten, und im Inland wird er von Polizeistreifen gründlich untersucht.
Die Behandlungen und die praktische Erfahrung mit der sozialistischen Realität trieben Hübner immer mehr in die Opposition. Für seine Weigerung, der DDR zu dienen, fand er einen starken Rückhalt im christlichen Glauben. Er ließ eich als 16-jähriger taufen. In einem Manuskript, das noch vor seiner Verhaftung zur „Arbeitsgruppe für Menschenrechte“ (AfM) nach Westberlin gelangte (vollständig abgedruckt im Anhang), schreibt Hübner: „Ein gewisses Gegenangebot stellen jedoch die ,Jungen Gemeinden' der Kirchen dar. Hier können sich die Jugendlichen vom ideologischen Stress ausruhen, können sich in einer Gruppe integrieren und einigermaßen frei fühlen. Das Christentum bietet einen ethischen und moralischen Halt. Es wird in der DDR weltnah, indem es der SED-Ideologie weltfern wird. Die ,Jungen Gemeinden' leisten das, was die DDR außerhalb des Schutzes der großen Kirchen verbietet“. Ein Teil des Manuskripts war 1978 in, die Hände des Ost-Berliner Staatssicherheitsdienstes gefallen, wobei ihm zwar der Verfasser nicht aber der Adressat bekannt wurde. Die volle Ausarbeitung kannte jedoch bis dahin der Staatssicherheitsdienst nicht.
In Polen gewann Hübner Freunde unter Jugendlichen seiner politischen und kirchlichen Haltung. Nach Berichten seines bereits in die Bundesrepublik geflüchteten Freundes Norbert lkwo, hatte Hübner schon 1972 hier Kontakte zu polnischen Regimegegnern gesucht. Dies führte später dazu, daß Hübner „wegen Bekanntschaft mit unerwünschten Personen“ die Volksrepublik Polen nicht mehr betreten durfte.
Sein Vater schließlich steckte ihn 1972 für einen zweijährigen Aufenthalt in einen Jugendwerkhof - dies ist eine Erziehungsanstalt für schwererziehbare Jugendliche. Die sozialistische Rehabilitation im Sinne des SED-Regimes schlug jedoch fehl; Hübner verließ den Werkhof im Februar 1974 ungebrochen. „Praktisch kam dabei heraus, daß ich mit 18 Jahren keine abgeschlossene Berufsausbildung hatte“, so schrieb er später in einer Eingabe an die DDR-Volkskammer (vollständig abgedruckt im Anhang).
Schon 1976 entzog sich Hübner zurr ersten Mal der Aufforderung des damals zuständigen Wehrkreiskommandos in Berlin-Friedrichshain zu einer Untersuchung. Am 10. Februar 1962 hatte die DDR widerrechtlich des alliierten Status´ der Stadt und trotz etlicher Proteste der drei Westalliierten die Wehrpflicht-Gesetzgebung auch auf den Ostsektor Berlins ausgedehnt. Hübner sollte als Berliner Wehrdienst in der DDR-Volksarmee leisten. Nur sein in einflußreicher Stellung tätiger Vater und seine Tante bewahrten ihn nach der ersten Verweigerung vor der Verhaftung durch ihr Versprechen, ihn in Zukunft sozialistisch zu erziehen.
Von hier an blieben Hübner sämtliche Ausbildungsmöglichkeiten, die er anstrebte, versperrt. Sein. erstes Lehrverhältnis in einem VEB-Betrieb hatte er schon 1972 kurz nach dem Beginn wieder gelöst. Aus folgenden Gründen, wie er in der o. g. Eingabe schrieb: „Die Zwangsverpflichtung zur vormilitärischen Ausbildung lehnte ich ab, die Bewußtseinsmanipulation an der Arbeitsstätte entrüstete mich.“ Daraufhin mußte Hübner gegen seinen Willen in einem anderen VEB-Betrieb als Transportarbeiter arbeiten, wobei ihm selbst Strafen angedroht wurden. „Als mir mein Vorgesetzter nach einer politischen Auseinandersetzung schikanös Arbeiten befahl, die unwürdig waren, weigerte ich mich diese auszuführen... Nach dieser schikanösen Behandlung wurde das Arbeitsklima unerträglich, so daß ich verbal kündigte.“ Inzwischen fand Hübner eine andere Arbeitsstelle, wurde jedoch noch vor der Arbeitsaufnahme in den Jugendwerkhof gebracht. Praktisch verhängten die DDR-Behörden nach dem Aufenthalt im Jugendwerkhof ein Bildungsverbot über Hübner. Ein Antrag auf Gasthörerschaft für die Sprachen Latein und Hebräisch in der Sektion Theologie an der Ostberliner Humboldt-Universität wurde dreimal abgelehnt, zuletzt „aus gesellschaftlicher Notwendigkeit“.
Die offenkundige Diskrepanz zwischen dem hohen moralischen Anspruch des SED-Regimes und der tristen DDR-Wirklichkeit trug dazu bei, daß Hübner dem Vertrauen in die Partei- und Staatsführung gänzlich entsagte. Am 15. Februar 1977 stellte er einen ersten Ausreiseantrag auf Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland. „Da ich die Absicht habe, mir mein weiteres Leben in der DDR nicht versauen zu lassen, werde ich in die BRD Übersiedeln, was mir als deutscher Staatsbürger zusteht“. Dem Antrag wurde nicht stattgegeben.
Der heute 23-jährige war offensichtlich bereit, die Konsequenzen der oppositionellen Haltung auf sich zu nehmen: „Ich mache mich darauf gefaßt, den Strafvollzug eines Regimes von innen kennenzulernen, denn es ist möglich, jeden Kritiker und jeden Antragsteller einzusperren. Ich will mich nicht einem System beugen, das sich nur durch totalitäre Bewußtseinsmanipulation, durch Bespitzelung von Andersdenkenden, durch Erpressung und Verleumdung an der Macht halten kann“, schrieb Hübner.
1977 - noch vor dem Einreiseverbot - fuhr Hübner nach Polen, um seine Freund, den damals 25-jährigen deutschstämmigen Mechaniker Norbert Ikwo, in Grünberg in Niederschlesien zu besuchen.
Ikwa ist mittlerweile in die Bundesrepublik geflüchtet. Kurz nach der Verurteilung Hübners nutzte Iwko eine Genehmigung der polnischen Behörden für einen dreiwöchigen Besuch bei einem Cousin in West-Berlin zur Flucht, traf am 24. Juli 1978 in Berlin ein und bat tags darauf im Notaufnahmelager Marienfelde um politisches Asyl. Für die 1 80 Kilometer Von seinem niederschlesischen Wohnort bis nach Berlin brauchte Iwko sieben Stunden mit einem Moped, das er sich 1977 in Ost-Berlin für 1700 Merk gekauft hatte. „Als ich von der Verhaftung meines Freundes Nico Hübner hörte, stand mein Entschluß fest. Ich wollte im Westen leben“, sagte Iwko im Juli 1978.
In Grünberg verfaßte Nieco Hübner als 20-jährier seine heute bekannte Studie Über die Lage der Jugend in der DDR (Vollständig abgedruckt im Anhang). HÜbner bewohnte in der Christburger Straße (Nummer 18) im Ostberliner Stadtbezirk Prenzlauer Berg eine Einzimmerwohnung unter dem Dach und arbeitete mittlerweile als Bühnenarbeiter - zuletzt denn als Kleindarsteller - beim Deutschen Theater. Norbert Iwko: „An der Wand hing ein Bild Von Karl Marx. Es hing mit dem Kopf nach unten. Hübner hatte das damit begründet, daß in der DDR auch der Sozialismus auf dem Kopf stehe. Man lebe ohne Perspektive, die einfachsten Bürgerrechte würden den Mitteldeutschen verweigert“.
Dies kommt auch in einer Eingabe Hübners an die DDR-Volkskammer aus dem Jahre 1977 zum Ausdruck (vollständig abgedruckt im Anhang).
Früh wendet sich Hübner daraufhin dem „philosophischen Kronzeugen einer unheilen Welt“, Arthur Schopenhauer zu. Hübner schreibt: „Seine Philosophie kann am besten begriffen werden, wo ich lebe.
„Das Leben stellt sich dar als ein fortgesetzter Betrug, im kleinen, wie im großen. Was es Versprochen, so hält es nicht; es sei denn, um zu zeigen, wie wenig wünschenswert das Gewünschte war: So täuscht uns also bald die Hoffnung, bald das Gehoffte“. Und weiter: „Mir dient die Beschäftigung mit der Philosophie Arthur Schopenhauers als Wehr gegen äußere Schikanen und zur Erleichterung der Bürde einer Isolation, einer fehlenden Geborgenheit“.
Gelegentlich nahm Hübner trotz des gegen ihn von den SED-Behörden verhängten Bildungsverbotes an einigen Lehrveranstaltungen über Philosophie an der Humboldt-Universität teil. Noch am 14. März 1978, wenige Stunden vor seiner Verhaftung durch den Staatssicherheitsdienst (SSD), besucht er ein Logik-Seminar an dieser Universität, unterdessen wurde Hübner im April 1978 in Abwesenheit in die Schopenhauer-Gesellschaft e.V. in Frankfurt a/M. aufgenommen. Der Schopenhauer-Gesellschaft gehören Wissenschaftler, Publizisten und Politiker wie Prof. Carlo Schmidt, Ex-Bundesminister Dr. Ewald Bucher und der Schriftsteller Rolf Hochhuth an. Der bekannte Sozialphilosoph Max Horkheimer war bis zu seinem Tode ebenfalls Mitglied der Gesellschaft.
Im Sommer 1977 sendet Hübner eine Grußkarte zum 17. Juni an die Arbeitsgruppe für Menschenrechte nach West-Berlin (beim Axel-Springer-Inlanddienst kann ein Foto der Karte unter App. 877/886) angefordert werden). Auf der Postkarte steht zu lesen. „Grüße zum Tag der Deutschen Einheit.“ Unterschrift: „Nico“
Am 2. Februar 1978 erhält der Ostberliner erneut eine Aufforderung zur Musterung und Tauglichkeitsüberprüfung vom zuständigen Wehrkreiskommando. Wiederum verweigert Hübner den Kriegsdienst in der Ostzonalen Nationalen Volksarmee unter Berufung auf den entmilitarisierten Status von Groß-Berlin. Das umfangreiche Wissen darüber, das auch aus einer schriftlichen Erklärung vor 7. März 1978 hervorgeht, hat er sich beim Literaturstudium in der Ost-Berliner Stadtbibliothek in der Breitestraße angelesen. Die offene Postkarte des Wehrkreiskommandos, auf der der Termin der Untersuchung angegeben gar, gelangte ebenfalls nach West-Berlin.
Nach einem Seminar-Besuch an der Umboldt-Universität kommt Hübner am 14. März 1978 mit einer Vorladung in der Hand auf das Volkspolizeirevier 69 im Bezirk Prenzlauer Berg. Dort bejaht er die Frage, ob er sich weiterhin weigere, den Wehrdienst in der NVA abzuleisten. Daraufhin wird er von Volkspolizisten festgenommen. Der Staatssicherheitsdienst ist anwesend. In einer sorgfältig formulierten Erklärung, die der Arbeitsgruppe für Menschenrechte vorliegt, begründet Hübner seine Haltung (vollständig abgedruckt im Anhang): „Ich wurde 1956 in Berlin geboren und bin in Berlin wohnhaft.
Ich bin also Bürger von Groß-Berlin und erkläre hiermit, daß ich nicht gewillt bin, der Aufforderung zur Musterung zu folgen. Als Berliner bin ich nicht verpflichtet, der Wehrpflicht in einer deutschen Armee nachzukommen ...“
Und weiter heißt es in der Erklärung: „Ad 1 bin ich kein DDR-Bürger, sondern Berliner. Ad 2 existiert für mich kein ,sozialisches Vaterland', sondern nur ein deutsches Vaterland...“
Herausgeber: Landesgeschäftsstelle, Böttcherstr. 7, 3000 Hannover 21 (Tel. 05 11 / 79 70 31)
Schüler Union - Niedersachsen
Lothar Obst - Burgdorf
Pressereferent der Jungen Union Hannover-Land
Tipp:
Die Zeit: „Dafür habe ich gesessen", 9. November 1979