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Prof. Dr. Richard Schröder spricht vor Gästen der Robert-Havemann-Gesellschaft über die Irrtümer der Vereinigung im Wintergarten, Verein Kunst und Literastur Forum Amalienpark e.V., Breite Str. 3, 13187 Berlin-Pankowe.
Fotos: © Ralf Gründer, Berlin, 18.02.2008
Prof. Dr. Richard Schröder (siehe auch: "Irrtümer über die deutsche Einheit")
Nachdenken über die Gegenwart eines untergegangenen Staates
Einführungsreferat bei der Matinee der Stiftung Aufarbeitung und des Deutschlandfunks am 9. November 2003, Rotes Rathaus
Es gilt das gesprochene Wort
Mein Referat besteht aus einem nachdenklichen und einem unterhaltsamen Teil.
I.
Warum sollen wir uns mit der Geschichte der DDR befassen? Ich kenne zwei gute Gründe und einen weniger guten.
1. Erinnerung vergoldet. Das muss nicht rundweg kritisiert werden. Es ist ein Gebot der Lebensklugheit, sich der angenehmen Stunden seines Lebens intensiver zu erinnern als der unangenehmen und schmerzlichen. Und natürlich gab es auch in der DDR „richtiges Leben", Liebe und Trauer, Sorgen und Freuden, Freundschaft und Feindschaft, Erfolge und Niederlagen und wer diese Elemente des richtigen Lebens unter verkehrten politischen Verhältnissen nicht anerkennen will, hat entweder nicht in der DDR gelebt oder er ist ein Fanatiker. Bedenklich wird es erst, wenn die erfreulichen Erinnerungen dazu missbraucht werden, auch die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse nachträglich zu vergolden. Und gefährlich wird es, wenn sie den Freiheitsgewinn verachten, den uns das Ende der Diktatur gebracht hat. Man hört derzeit im Osten oft: das und das „ist ja schlimmer als in der DDR". Was so kritisiert wird, ist zumeist auch kritikwürdig, hat aber nicht diese Kritik verdient. Sie kann auch nicht ganz ehrlich gemeint sein, denn im Ernst wünscht sich niemand, der sie erlebt hat, die DDR-Verhältnisse zurück, nicht einmal die PDS. Da braucht man sich nämlich nur genauer zu erinnern, wie es wirklich war: zwar niedrige Mieten, aber verfallende Häuser, zwar sichere Arbeitsplätze, aber eine ineffektive Wirtschaft, zwar keine Drogenprobleme, aber eine abgeriegelte Grenze und so weiter. Man kann nicht die Mauer wegreißen und das Echo stehen lassen.
2. Zur deutschen Vereinigung gehört auch die Vereinigung unserer getrennten Geschichte. Je besser sich Menschen kennen lernen, umso gründlicher erzählen sie sich ihre Geschichten. Das ist, was das Biographische betrifft, zunächst kein Problem. Schwieriger ist es, Westdeutschen die Lebensbedingungen in der DDR zu vermitteln. Die einen stellen sich die DDR wie ein Zuchthaus vor, die anderen wie eine Bundesrepublik mit Ostgeld („Hatten Sie auch Schüleraustausch mit der Sowjetunion?" oder: „Haben Sie Honecker mal persönlich kennen gelernt?"). Der Ostdeutsche weiß dann gar nicht, wo er mit Erklären anfangen soll. Härter aber sind die Auseinandersetzungen über die DDR-Verhältnisse zwischen Ost und Ost. Und wenn dann der eine dem anderen an den Kopf wirft: „Sie müssen in einer anderen DDR gelebt haben als ich", hat er ungeahnt ins Schwarze getroffen. Ein Politbüromitglied, NVA-Offizier, ein LPG-Bauer und ein Pfarrer haben tatsächlich jeder eine andere DDR erlebt, denn es gab da keine freie, gemeinsame Öffentlichkeit. Nur insofern war die DDR eine Nischengesellschaft und nicht, wie Günter Gauss meinte, als Idylle einer fidelen Kleingartenkolonie. Es gab echte Kommunikationsverbote. Funktionäre bis zur untersten Stufe mussten die Verbindung zu den Westverwandten abbrechen und durften kein Westfernsehen anschauen - ein schwerer Nachteil für deren Kinder beim Pausengespräch. Der sowjetische Militärarzt, der, vermittelt durch die Kinder, zu einer ostdeutschen Familie auf derselben Straße freundschaftliche Beziehungen aufnahm, wurde deshalb umgehend nach Moskau versetzt. Die sowjetischen Soldaten übrigens waren bis 1989 strikt von der Bevölkerung isoliert. Die Gastarbeiter etwa aus Vietnam, Mocambique und Kuba wohnten in separaten Wohnheimen und bildeten im Betrieb eigene Brigaden. Oder: in einem Dorf standen Pfarrhaus und Schule nebeneinander. Die Vorschulkinder des Pfarrers und des Schulleiters spielten zusammen. Als sie in die Schule kamen, erklärte der Schulleiter dem Pfarrer freundlich und mit Bedauern: „Sie werden verstehen, dass unsere Kinder jetzt nicht mehr zusammen spielen können, bei meiner Stellung." Der Polizist, dessen verstorbene Mutter ein christliches Begräbnis gewünscht hatte, kommt im Dunkeln zum Pfarrer, um die Beerdigung anzumelden. „Eigentlich sollen wir ja gar nicht mit Ihnen sprechen, aber es war doch der letzte Wille meiner Mutter." Die Humboldt-Universität habe ich im März 1991 zum ersten Mal betreten, denn am Eingang saß ein Pförtner, der den Studenten- oder Dienstausweis sehen wollte. Und so etwas hatte ich nicht.
Dazu kommt: in der DDR war auch die DDR-Geschichte weithin geheim. Da ist ein Unterschied zur Nazizeit von Bedeutung. Die währte zwölf Jahre. Die Erwachsenen konnten sich 1945 an die Weimarer Republik erinnern. In vierzig Jahren hat eine vollständige sozialistisch geprägte Sozialisation Platz. Die Ideologie und das zensierte Geschichtsbild konnten tiefer in die Seelen eindringen, und zwar alternativlos. Erst jetzt haben viele Ostdeutsche vom 17. Juni 1953 Genaueres erfahren und dass ihre Großeltern damals auch auf der Straße waren. Die Vertreibungen im Zusammenhang mit der sog. Bodenreform, Ulbrichts Kirchenkampf 1953, die Brutalitäten der Zwangskollektivierung, selbst der Einmarsch in die CSSR 1968 waren in den achtziger Jahren jungen Leuten unbekannt. Denn in vielen Elternhäusern wurde all dies vorsichtshalber beschwiegen. Nach 1990 hörten wir von einer Familie, deren Eltern, alte Kommunisten, beide unter Stalin im Lager waren und ihren Kindern nie davon erzählt hatten. Viele erfuhren erst 1990, dass einige der KZs vom sowjetischen Geheimdienst nach 1945 weiter benutzt worden waren, und zwar nicht nur für Nazis. Selbst die Zahl der Selbstmorde war Staatsgeheimnis und dem Statistischen Jahrbuch nicht zu entnehmen. Die Kriminalstatistik wurde geheim gehalten, so dass nach 1990 zunächst viele der Meinung waren, die Kriminalität wachse sprunghaft an. Kurz: erst nach dem Ende der DDR erfuhren viele DDR-Bürger: die selbst erlebte DDR war nicht die ganze DDR. Anfangs war das Interesse groß an Einblicken in die verborgene DDR-Realität, namentlich was die Stasi betraf. Je mehr aber westliche Medien den Enthüllungsjoumalismus betrieben, umso stärker wuchs der Widerstand. Viele fühlten sich nun kollektiv an den Pranger gestellt und reagierten mit Identitätstrotz: so schlimm war die DDR gar nicht. Das sagen nun auch solche, die sich gegen die DDR-Verhältnisse aufgelehnt hatten. Ich nenne das die DDR-Identität post festum.
Eine andere Front im Streit um die DDR ergibt sich aus der Verlaufsform dieser Diktatur. Von den zwölf Jahren der Nazizeit muss man sagen: es wurde alles immer schlimmer. Von den vierzig Jahren DDR gilt das Umgekehrte. Wir konnten unter Honecker sagen: es war schon einmal schlimmer, nämlich in der Stalin- und Ulbrichtzeit. Am Ende war die Höchststrafe für politisch Missliebige: Gefangenenfreikauf. Diejenigen, die vor dem Mauerbau die DDR verlassen haben, haben ihre damaligen DDR-Erfahrungen mitgenommen. Sie sagen: die DDR war ein verbrecherisches Regime. Die Dagebliebenen betrachten das als maßlose Übertreibung und widersprechen. Das empört die Flüchtlinge: „Ihr verharmlost die DDR.“
Inzwischen wächst die Zahl derjenigen, die die DDR gar nicht mehr erlebt haben. Wenn die von uns wissen wollen, wie es war, müssen wir Auskunft geben können.
3. Die dritte, weniger gute Antwort lautet: um aus der Geschichte zu lernen. Diese erhabene pädagogische Absicht stößt nämlich auf ein Problem: Geschichte wiederholt sich nicht. Es ist wie bei den Krankheiten: die nächste, die uns erwischt, ist eine andere, gegen die die vorige Medizin nicht hilft. Wer auf die Gegenwart immer nur unter dem Gesichtspunkt blickt, ob sich da etwas wiederholt, kann eine fatale Tendenz zur Gespensterfurcht entwickeln. Wir haben das Anfang der 90er Jahre erlebt, als fremdenfeindliche Gewalt im Osten unter der Frage diskutiert wurde: „Kommt das Vierte Reich?"
Es ist eine Lehre der Geschichte, dass die Menschen aus der Geschichte oft gerade das Falsche lernen. Dafür bietet die DDR selbst ein makabres Beispiel: den Antifaschismus-Mythos der SED. Er besagte: die Faschisten haben die Kommunisten verfolgt und die Sowjetunion angegriffen. Aber diese hat zurückgeschlagen und den Faschismus mit Stumpf und Stiel ausgerottet, nämlich durch die Beseitigung seiner sozialökonomischen Basis, der Kapitalisten und der Junker. Die DDR steht auf Seiten der Sieger der Geschichte. Aber sie muss wachsam sein. „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch", nämlich im Westen. Der Klassenkampf geht weiter, nach innen wie nach außen. Nach innen, das hieß: Zerschlagung des Bürgertums und Benachteiligung aller, die als ideologisch unzuverlässig galten, wozu oft schon die bekennende Kirchenzugehörigkeit genügte. Und das hieß: Zensur und Überwachungsstaat. Nach außen, das hieß Aufrüstung und Militarisierung der Gesellschaft und Abschirmung vor verderblichen westlichen Einflüssen. Das war nicht nur eine Zweckbehauptung zur Scheinlegitimation der Diktatur. Viele Kommunisten, die in der Nazizeit inhaftiert oder ins Exil gegangen waren, haben tatsächlich in der DDR den Staat gesehen, der die Lehren aus der Geschichte gezogen habe und damit auch vor sich selbst gerechtfertigt, was da an offenkundigem Unrecht laufend geschah. Ich habe einmal ein Gespräch von Wirtschaftsfunktionären in der Eisenbahn unfreiwillig mitgehört. „Wie wir das damals bei der Gründung der LPGs durchgezogen haben, da darf ich gar nicht daran denken. Aber es war ja notwendig“, sagte einer. Er war, wie man sieht, nicht gewissenlos, aber er betäubte sein Gewissen mit der marxistisch-leninistischen „historischen Notwendigkeit“. Sie war ihm Opium fürs Gewissen.
Der Antifaschismus-Mythos legitimierte die „Diktatur des Proletariats“ damit, dass nur so die Wiederkehr der Hitlerdiktatur verhindert werden kann und unterschlug dabei zweierlei. Das Hauptverbrechen der Nazis, die Judenverfolgung und Judenvernichtung, wurde dabei sehr kleingeschrieben. Und geflissentlich übersehen wurde, dass das alles mit der Suspendierung der Grundrechte inclusive Pressefreiheit, der Instrumentalisierung der Justiz und der Abschaffung des Parlamentarismus begann. Und das alles hat die SED wiederholt, verbrämt als Lehre aus der Geschichte.
Dass man aus der Geschichte nichts lernen könne, habe ich damit nicht behauptet. Für die Frage, wie eine Diktatur verhindert werden kann, bedarf es aber keiner historischen Detailstudien. Die Antwort ist einfach: die Wahrung der Grundrechte, der freie Zugang zu unabhängigen Gerichten, Gewaltenteilung und Machtkontrolle und eine freie Öffentlichkeit oder kurz: die Institutionen der Freiheit verhindern eine Diktatur. Hat sie sich erst einmal etabliert, weil die Bürger diese Institutionen nicht geschützt haben, ist sie von innen heraus selten oder nie zu stürzen. Gegen Panzer sind gewaltloser Widerstand und Zivilgesellschaft wirkungslos, wie wir am 17. Juni 1953, am 21. August 1968 in der Tschechoslowakei und 1989 auf dem Platz des himmlischen Friedens erleben mussten. Ich sage das nicht, um Resignation zu verbreiten, sondern gegen den Hochmut mancher Westdeutscher, die den Ostdeutschen vorwerfen, dass sie diese Diktatur so lange ertragen haben. Das soll wohl immer heißen: wir erprobten Widerstandskämpfer hätten dem Spuk blitzschnell ein Ende gemacht. Sie sollten sich einmal erinnern, wie sie sich als Transitreisende den DDR-Grenzern gegenüber verhalten haben, die ihnen im schlimmsten Falle etwas Ungemach zufügen konnten, mehr nicht.
II.
Ich komme zum unterhaltsamen Teil.
Wie hat denn die DDR-Bevölkerung nun tatsächlich über ihren Staat gedacht? Da können wir leider nicht auf einem breiten Fundus von Umfrageergebnissen zurückgreifen. Nur das Leipziger Institut für Jugendforschung hat in beschränktem Umfang Umfragen durchführen dürfen. Als aber die Ergebnisse bei Oberschülern der Ministerin Margot Honecker nicht gefielen, durfte das Institut keine Oberschüler mehr befragen, sondern nur noch Lehrlinge. Deswegen greife ich auf eine andere Quelle zurück, der man Authentizität nicht absprechen kann: die DDR-Witze. Sie sind oft ein Zeugnis der nicht korrumpierten Wahrnehmung des Volkes. Nirgends gedeiht der politische Witz so gut wie in der Diktatur. Warum? Weil er das Unsagbare aufblitzen lässt ohne es selbst ausgesprochen zu haben. Dass der politische Witz zusammen mit der DDR untergegangen ist, beweist nicht, wie doch manche tatsächlich behaupten, dass uns nun das Lachen vergangen sei, sondern dass es dieses indirekten Mediums der verschlüsselten Kritik nicht mehr bedarf.
1. Ein Arbeiter wird interviewt.
„Was ist Ihre Meinung zu unserer Volksbildungspolitik?" „Da schließe ich mich ganz den Ausführungen der Genossin Margot Honecker an.“ „Und was ist Ihre Meinung zu unserer Wirtschaftspolitik?“ „Da schließe ich mich ganz den Ausführungen des Genossen Günter Mittag an.“ Und so weiter. „Ja, haben Sie denn gar keine eigene Meinung?“ „Doch, aber der schließe ich mich nicht an.“
Die eigene Meinung, der man sich nicht anschloss, das ist eine zwar irritierende, dennoch aber treffende Formel für den Aggregatzustand der Kritik der politischen Verhältnisse in einer Diktatur.
2. Jäger von der Volksarmee, der Volkspolizei und der Stasi wollen ihr Jagdglück vergleichen.
Die Volksarmisten erlegen zwei Rehe, die Volkspolizisten zwei Wildschweine. Die Stasijäger kommen und kommen nicht aus dem Wald. Schließlich sucht man sie. Man findet sie auf einer Lichtung, wie sie auf einen Hasen einprügeln und brüllen: „gibst du endlich zu, dass du ein Wildschwein bist?“
Der Erzähler sieht sich natürlich in der Rolle dieses Hasen. Wenn du in die Fänge der Stasi kommst, dann ist egal, was du getan oder nicht getan hast. Wenn sie wollen, hängen die dir immer was an.
3. Der Zugang zur Oberschule und Studium
... hing ab von der „sozialen Herkunft" – Arbeiter- und Bauernkinder sollten bevorzugt werden -, der weltanschaulichen Orientierung und politischen Zuverlässigkeit des Elternhauses ab, für die bekanntlich kein Kind etwas kann. Auf dem Weg zur klassenlosen Gesellschaft wurde eine Art von Klassenrassismus praktiziert.
Sagt der Arbeiter zum Ingenieur „Meine Kinder kommen auf die Oberschule, deine nicht.“ Ingenieur zum Arbeiter: „Meine Enkel kommen auf die Oberschule, deine nicht.“
4. Wir kommen zur Wirtschaft.
Kommt einer ins Kaufhaus und fragt:
„Haben Sie Teppiche?" „Nein, keine Teppiche gibt's eine Etage höher, hier gibt's keine Schuhe.“
Oder:
„Keine Bretter für die Laube, keine Nägel, keine Schraube, für den Hintern kein Papier, aber 'n Sputnik haben wir.“
Wir waren eine Gesellschaft von Jägern und Sammlern und sehr erfinderisch in der Kompensation des Mangels. Er hat uns viele Erfolgserlebnisse verschafft, die wir heute nicht mehr haben. Was mühsam erworben ist und schwer ersetzbar, wird höher geschätzt. Die Dinge waren wertvoller als heute. Wir haben mit viel Fantasie repariert, was heute einfach weggeschmissen wird. Wer ein Auto hatte, hatte die notwendigsten Ersatzteile, vor allem einen Auspuff, im Keller, weil auf den Ersatzteilhandel kein Verlass war - woraufhin in den Kellern wahrscheinlich mehr Auspuffe lagerten, als zur Befriedigung des Bedarfs nötig gewesen wäre. Insofern verschärfte der Mangel den Mangel. Der Mangel hatte auch eine kommunikative Seite: hilfst du mir, helf ich dir. Ich brauchte einmal mal ein Lager für meine Jauchenpumpe (Kanalisation haben wir erst 1993) und das gab's nicht im Geschäft. Der Schwager des Nachbarn hat in einer Pumpenwerkstatt gearbeitet und mir eines besorgt. „Das kostet nichts", hat er gesagt, „Honecker hat doch gesagt, wir sollen noch mehr aus unseren Volkseigenen Betrieben herausholen.“ Man sieht an dem Beispiel zugleich, was das Wort „Organisieren" alles abdeckte: gewusst wo, gewusst wie, verbunden mit einem sehr weitherzigen Verständnis von Legalität. Frage an den Sender Jerewan: „Gibt es im Kommunismus noch Geld?“ Antwort: „Nur.“ Ostgeld war ein Bezugsschein ohne Einlösungsgarantie, deshalb „nur“: im Kommunismus gebe es „nur“ noch Geld und gar keine Waren mehr. Heute loben viele an der DDR die menschliche Wärme; damals habe sich nicht alles, wie heute, um Geld und Karriere gedreht. Daran ist nur richtig: es ging damals mehr um Waren als um (Ost)-Geld. Man tauschte knappe Waren gegen knappe Waren. Aber für deren Beschaffung wurde ein erheblicher Aufwand getrieben.
Was tut ein Franzose, wenn er seine Frau mit einem Liebhaber erwischt? Er nimmt das Küchenmesser und ersticht ihn.
Und ein Engländer? Er nimmt den Revolver und erschießt sich.
Und ein DDR-Bürger? Er sagt: „Ihr mehrt hier rum und im Konsum gibt's Spargel."
Also bitte nicht flunkern. Dass es den DDR-Bürgern im Unterschied zu den Westdeutschen vor allem um ideelle und nicht um materielle Werte ging, ist geflunkert. Allerdings: Mangel macht erfinderisch und in gewissen Grenzen auch solidarisch.
4. Zum Thema Sozialismus.
Was passiert, wenn der Sozialismus in der Sahara eingeführt wird? Drei Jahre nichts, dann wird der Sand knapp.
Oder:
„Der Kapitalismus steht vor dem Abgrund. Wir sind einen Schritt weiter."
Und zum Schluss:
Die sieben Weltwunder der DDR
Obwohl niemand arbeitslos ist, hat die Hälfte nichts zu tun.
Obwohl die Hälfte nichts zu tun hat, fehlen Arbeitskräfte.
Obwohl Arbeitskräfte fehlen, erfüllen und übererfüllen wir die Pläne.
Obwohl wir die Pläne erfüllen und übererfüllen, gibt es in den Läden nichts zu kaufen.
Obwohl es in den Läden nichts zu kaufen gibt, haben die Leute fast alles.
Obwohl die Leute fast alles haben, meckert die Hälfte.
Obwohl die Hälfte meckert, wählen 99,9 % die Kandidaten der Nationalen Front.
Tipp: Schröder, Richard
Die wichtigsten Irrtümer über die deutsche Einheit / Richard Schröder. - Freiburg, Br. [u.a.] : Herder, 2010. - 254 S. (Herder Spektrum ; 6253) ISBN 978-3-451-06253-7