Konferenz von Casablanca (02.02.1943)

Das britische Informationsministerium veröffentlichte am 27. Januar folgendes Kommuniqué über eine zehntägige Konferenz, die Präsident Roosevelt und Ministerpräsident Churchill in Nordafrika abhielten.

Der Präsident der Vereinigten Staaten und der Ministerpräsident von Großbritannien hielten seit dem 14. Januar in der Nähe von Casablanca eine Konferenz ab. In ihrer Begleitung befanden sich die Stabschefs der beiden Länder, und zwar für die USA. General George C. Marshall, der Chef des Generalstabes, Admiral E. J. King, der Oberkommandierende der amerikanischen Flotte, Generalleutnant Arnold, der Oberkommandierende der amerikanischen Luftwaffe; und für Großbritannien Sir Dudley Pound, der erste Seelord, General Sir Alan Brooke, der Chef des Reichsgeneralstabes, Luftmarschall Sir Charles Portal, der Stabschef der Luftflotte. Als beratende Mitglieder der Konferenz waren anwesend: Generalleutnant Somervill, der Kommandant des Nachschubdienstes der amerikanischen Armee, Feldmarschall Sir John Dill, der Chef der britischen Stabsmission in Washington, Vizeadmiral Lord Louis Mountbalten, Chef der kombinierten Operationen, Generalleutnant Sir Hastings Ismay, Oberster Stabsoffizier beim Verteidigungsministerium, sowie eine Reihe von Stabsoffizieren beider Länder.

Der Präsident und Churchill empfingen in den Konferenzen Murphy MacMillan, General Eisenhower, Großadmiral Sir Andrew Cuningham, General Spaatz, General Clark, General für Harold Alexander, Luftmarschall Sir Andrew Tedder sowie Generalleutnant Andrews. In Begleitung des Präsidenten befand sich Harry Hopkins und Averell Harriman. In Begleitung des Premiers befand sich Lord Leathers, der britische Minister für Kriegstransporte.

Zehn Tage lang hielten die Stabschefs ständige Sitzungen zwei bis dreimal täglich ab und berichteten dem Präsidenten und dem Premier in Abständen über die Fortschritte ihrer Beratungen. Das gesamte Gebiet des Krieges, und zwar jeder Kriegsschauplatz in der Welt, wurde überprüft und alle Hilfsquellen wurden zwecks intensiverer Führung des Krieges zur See, zu Lande und in der Luft behandelt. Noch nie hat etwas stattgefunden, das sich mit dieser langen Diskussion der beiden Alliierten vergleichen lässt. Völliges Einvernehmen wurde zwischen dem Präsidenten und dem Premier und ihren Stabschefs über die Kriegspläne erreicht sowie über die Unternehmungen, die im Laufe des Jahres 1943 gegen Deutschland, Italien und Japan geführt werden sollen, mit dem Ziel, den größtmöglichen Nutzen aus der so entschieden günstigen Wendung der Ereignisse von 1942 zu ziehen. An Stalin wurde eine herzliche Einladung übersandt, mit dem Präsidenten und dem Premierminister Churchill zusammenzutreffen. In diesem Falle wäre die Konferenz viel weiter östlich abgehalten worden. Stalin war jedoch nicht in der Lage, gegenwärtig Russland zu verlassen mit Rücksicht auf die große Offensive, die er als Oberkommandierender leitet. Der Präsident und der Premier anerkennen in vollem Umfang die ungeheure Kriegslast, die Russland erfolgreich an der gesamten Landfront trägt, und betrachten es als ihr Hauptziel, so viele Truppen wie möglich von den russischen Armeen dadurch abzuziehen, dass der Feind an den bestgewählten Punkten so schwer wie möglich in den Kampf verwickelt wird. Stalin ist über alle militärischen Vorschläge vollständig unterrichtet worden. Der Präsident und der Premier standen mit Generalissimus Tschiang Kai Schek in ständiger Verbindung und haben ihm alle Maßnahmen bekannt, die ergriffen werden sollen, um ihm bei Chinas großartigem und unermüdlichem Kampf für die gemeinsame Sache zu helfen. Die Gelegenheit der Begegnung des Präsidenten und des Premiers ließ es als opportun erscheinen, General Giraud einzuladen, mit den Stabschefs zu konferieren und eine Begegnung zwischen ihm und General de Gaulle herbeizuführen. Die beiden Generäle hielten eine eingehende Aussprache ab. Der Präsident, der Premier und die Stabschefs trennten sich nach Festlegung aller Pläne für die offensiven Kampfhandlungen des Jahres 1943, um diese Pläne zu aktiver und gemeinsamer Durchführung zu bringen.

Nach einer Meldung der Agentur Reuter veröffentlichten am selben Tag General Giraud und General de Gaulle folgende gemeinsame Erklärung:

„Wir sind zusammengetroffen. Wir haben uns ausgesprochen. Wir stellen unser volles Einvernehmen über das zu erstrebende Ziel fest, das in der Befreiung Frankreichs und im Triumph der menschlichen Freiheit durch die totale Niederlage des Feindes besteht. Dieses Ziel wird durch den Zusammenschluss aller Franzosen im Kriege, die Seite an Seite mit allen ihren Verbündeten kämpfen, erreicht werden.″

Das französische Nationalkomitee in London erklärte anschließend folgendes:

Anlässlich der interalliierten Konferenz in Nordafrika traf General de Gaulle in Begleitung des Generals Catroux und des Konteradmirals d'Argenlieu mit General Giraud in Französisch-Nordafrika zusammen. Es wurde beschlossen, die notwendigen Verbindungen (liaisons) zwecks Vereinheitlichung des Kriegseinsatzes der Land-See- und Luftstreitkräfte des französischen Empires unverzüglich herzustellen. Außerdem wurde eine vorläufige Prüfung der Bedingungen vorgenommen, unter denen mit Berücksichtigung der neuen Lage in Französich-Nordafrika und -Westafrika der französische Beitrag zum Befreiungskrieg zu erweitern wäre. Der Meinungsaustausch über diese Frage wird fortgesetzt werden. Die vollständige Einheit der Streitkräfte des Empires in Verbindung mit der Widerstandsbewegung in Frankreich unter Bedingungen zu verwirklichen, die im Einklang mit dem Willen und der Würde des französischen Volkes stehen, bleibt das Ziel General de Gaulles und des französischen Nationalkomitees.

Ferner wurde bekanntgegeben, dass in einer geheimen Unterhaussitzung am 27. Januar Außenminister Eden das Haus über den Verlauf der Besprechungen in Casablanca unterrichtete.

Die deutsche diplomatisch-politische Korrespondenz gab dazu u. a. folgendes bekannt:

Wenn seit Tagen in der englischen und nordamerikanischen Öffentlichkeit die unaufschiebbare Notwendigkeit unterstrichen wurde, nun endlich über eine Reihe von näher umschriebenen, brennenden Problemen eine Einigkeit zu erzielen, so weist solchen Erwartungen gegenüber das Treffen von Casablanca höchst magere Ergebnisse auf. Selbst Reuter ist genötigt, von der allgemeinen Enttäuschung darüber zu sprechen, daß die wirklich bedeutsamen Probleme, deren Lösung das englische und amerikanische Volk erhofft hatten, nicht bewältigt wurden. Zunächst ist die Wahl ausgerechnet von Casablanca als Ort einer Zusammenkunft zwischen den Oberhäuptern der feindlichen Koalition nicht nur ein echt amerikanischer Theatercoup gewesen; der Grund für die Bestimmung gerade dieser Stadt liegt schon tiefer: Der westafrikanische Küstenplatz liegt geographisch genau in gleicher Entfernung von Washington und Moskau. Das Nichterscheinen des eingeladenen Stalin, der es nicht einmal für nötig hielt, einen weniger mit militärischen Aufgaben belasteten Vertreter -- wie Molotow -- zur Konferenz an seiner Statt zu entsenden, eröffnet daher aller Welt neue interessante Ausblicke. Die Machthaber des Kreml wollen sich im gegenwärtigen Augenblick auf interalliierten Konferenzen nicht sehen lasse, sie sind nicht bereit, sich irgendwie für die Zukunft festzulegen, ja nicht einmal Rede und Antwort zu stehen hinsichtlich dessen, was sie - in Europa und anderswo -- als ihr Endziel betrachten. Von dem allzu früh ausposaunten Programm, dass nunmehr die Bildung eines Viererrates bevorstehe, ist also weniger die Rede denn je. Der gewählte Treffpunkt Casablanca brachte es naturgemäß mit sich dass über eine der brennendsten und peinlichsten Fragen, den Zwist im französischen Dissidentenlager, diktatorisch das Schauspiel einer allerdings nur äußerlich in Erscheinung tretenden Einigkeit präsentiert wurde: Giraud und de Gaulle wurden gezwungen, sich vor Photographen die Hand zu geben und sie durften nach diesem Akt wieder abtreten. Beide wollen -- womit nichts Neues gesagt wird -- zwar gegen den "gemeinsamen Feind" weiterkämpfen, was ja nur den Wünschen ihrer beiderseitigen Auftraggeber, Churchill und Roosevelt, entspricht. Politisch bleibt indes wie aus dem Kommuniqué hervorgeht, jeder der beiden Kampfhähne auf seinem Standpunkt, ein Tatbestand, der im übrigen, auf längere Sicht gesehen, äußerst nebensächlich ist. Denn Herr im Hause war ja in Casblanca niemand anderer als der Herr des Weißen Hauses selbst. Er war es, der Giraud und de Gaulle zusammen zu sich bestellte. Er war es, der den Sultan von Marokko zu sich einlud, somit Franzosen und Marokkaner von der gleichen Warte des obersten Souveräns herab behandelte. Und weil es sich für ihn ja nur um den Besuch eines nordamerikanischen Stützpunktes handelte, brauchte er auch in diesem Falle nicht die sonst für Auslandsreisen eines nordamerikanischen Präsidenten geltenden Hemmungen zu haben. Nordwestafrika bildet, wie die Bermudas und andere formalrechtlich noch britischen Besitzungen, heute einen festen Bestandteil des nordamerikanischen Machtbereichs. Über die rein äußerlich provisorische Überkleisterung der Risse in der englisch-nordamerikanischen Einigkeit hinaus, die in Französich-Nordwestafrika keineswegs ihre einzige empfindliche Stelle besitzt, scheinen die Gespräche jedenfalls auf politischem Gebiet nicht zu besonders ermutigenden Ergebnissen geführt zu haben. Kein Wunder also, dass unter diesen Umständen "Daily Herald" ganz offen die Frage stellte, was denn eigentlich bei dieser Konferenz erreicht worden sei. So seien die seit einer Woche aus Washington kommenden Prophezeiungen nicht verwirklicht worden. "Der große strategische Rat der vier verbündeten Nationen" -- so schreibt das Blatt -- ist nicht zustande gekommen; ebensowenig ist in dem Kommuniqué irgendetwas über die Angleichung der Nachkriegsziele der Alliierten gesagt worden." Wenn angesichts dieser Sachlage „New Chronicle“ festhält, dass „die erzielten Ergebnisse die Konferenz in Afrika nicht hätten rechtfertigen können“, so kann dies schwerlich überraschen. Bleibt allein die Bedeutung der Konferenzergebnisse auf militärischem Gebiet. Hier wird die Zukunft zu erweisen haben, wie weit das Programm, an dem man in Casablanca zehn Tage und Nächte arbeitete, von Erfolg begleitet sein wird. Die entscheidende Rolle spielten bei den Verhandlungen, das zeigt allein schon die Zusammensetzung der beiderseitigen Delegationen, die wachsenden Gefahren des U-Boot-Krieges. Auch die „Times“ muss zugeben, dass „die Pläne der Alliierten nur dann Aussicht auf Erfolg haben, wenn die Bedrohung durch die U-Boote endlich beseitigt ist!“ Gemeinsame politische Ziele existieren weder unter Engländern und Nordamerikanern noch weniger aber unter diesen einerseits und den Bolschewisten andererseits. Man will den „Krieg ins Blaue“ führen, mit dem längst proklamierten Ziel, die Völker, die eine gerechte Neuordnung in ihrem Lebensraum erstreben, praktisch zu erledigen und zu vernichten. Was dann kommen würde, soll eine spätere Sorge sein!

Am 29. Januar wurde bekanntgegeben, dass sich Präsident Roosevelt von Casablanca nach Marakesch begab und dann nach Monrovia, der Hauptstadt von Liberia. Von hier aus flog Roosevelt nach Natal, wo er am 27. und 28. Januar mit dem brasilianischen Präsidenten Vargas Besprechungen abhielt.


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