Gedächtnisprotokoll | Verhandlung Andreas Moser
Gedächtnisprotokoll über die Verhandlung gegen Andreas Moser wegen Agenten- und Spionagetätigkeit für das MfS von 1971 - 1989 am 26. und 27.09.1994 beim Oberlandesgericht Schleswig
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II. Senat, Vorsitzender Richter: Ehrich (sonst noch 4 weitere Richter)
Sta: Frau Schulz, Lübeck
Angeschuldigt: Andreas Moser, geb. 1951 in Wernigerode/DDR
RA: Lake-Schwarznecker, Chemnitz
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Richter begrüßt; „ über den Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit müssen wir nachher noch mal reden!“
Das Verfahren gegen den Mitangeklagten Becker (Führungsoffizier von M.) ist unter gewissen Auflagen vorläufig eingestellt worden. (DM 5.000,-- a.d. Staatskasse)
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Zur Person = bekannt, zur Sache: s. Anklage StA (Richter E. macht einen gelangweilten, langweiligen Eindruck!)
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Anklage StA Schulz:
„Der Journalist Andreas Moser wird angeklagt, in Berlin, Hamburg, Ratzeburg und Grabow und anderen Orten im Zeitraum Ende 1971 bis September 1989 für den Geheimdienst einer fremden Macht eine geheimdienstliche Agententätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland ausgeübt zu haben. Der Angeschuldigte M. unterschrieb am 20.11.1971 eine schriftliche Verpflichtung zur konspirativen Zusammenarbeit mit dem MfS der DDR und trug ab diesem Zeitpunkt den Decknamen Harald Wallis. Ab 1972, bis dahin hatte M. Probeaufträge ausgeführt (Atlas), wurde dem Angeschuldigten M. der Führungsoffizier Becker zugeteilt. M. wurde über den ganzen Tatzeitraum von Becker geführt, d.h. der Angeschuldigte Becker übergab die Aufträge und Bezahlung und übernahm von M. die Infos und Materialien.
Der B. war ab 1964 hauptamtlicher Mitarbeiter des MfS und seit 1971 Mitglied der Hauptabteilung I des MfS, GrKdo Nord, Unterabteilung Aufklärung, in Grabow, wo er auch einen privaten Wohnsitz hatte. Für briefliche und telegrafische Mitteilungen wurden dem M. Deckadressen zur Verfügung gestellt. Die Treffpunkte, in Folge „Treffs“ genannt, wurden in Kontaktwohnungen überwiegend in MV und Ost-Berlin durchgeführt. Für Materialübergaben von M. wurden sogenannte Wurfschleusen am Grenzzaun benutzt, was bedeutete, dass M. sein Material über die Grenzanlage warf und im Gegenzug neue Aufträge und Bargeldbeträge von B. auf gleichem Wege erhielt.
Ab 1975 wurde ein neues Verfahren angewandt, in dem der M. mit Hilfe des B. direkt durch die Grenzanlage geschleust wurde, die sogenannte operative Personenschleuse.
Der M. erhielt ab 1973 Geheimschreibmittel verschiedener Kategorien. Für den Transport und die Aufbewahrung der Materialien wurden dem M. verschiedene Container übergeben, die im Laufe der Zusammenarbeit mit dem MfS mehrmals modifiziert und ausgetauscht wurden. Der M. war unter anderem mit entsprechend gesicherten Containern für den Transport belichteter Filme (Spraydose) ausgestattet. Ein Container war fest in seinen Privat-Pkw eingebaut.
M. verwahrte in seinem Haus Container für Funkgeräte und Infrarot-Sprechgeräte. 1977 wurde M. im Chiffrierwesen und Funktechnik ausgebildet. 1977 - 1980 empfing und bestätigte M. Funksendungen. 1985 erhielt M. ein Infrarotfunksprechgerät, über das Nachrichten per Schnellgeber abgesetzt werden konnten. B. übergab im Auftrag des MfS an M. in dem gesamten Tatzeitraum, entweder Einzelaufträge aus aktuellem Anlass oder schriftlich vorformulierte Aufträge, die über einen bestimmten Zeitraum liefen oder sogenannte Komplexaufträge, die einen längeren Zeitraum Gültigkeit besaßen. M. lieferte jeweils auftragsgemäß zahlreiche Infos über den B. an das MfS.
Die von M. gelieferten Infos betrafen Diensthandlungen und Dienststellen des BGS, Grenzzolldienstes, der Zollverwaltung und der Polizei im Grenzbereich Herzogtum Lauenburg. M. berichtete durchgängig über den Personalbestand, über personelle Veränderungen, über geplante Fahndungen, Maßnahmen und über Modalitäten und technische Einzelheiten von internem Fernmeldeverkehr des GZD. Er berichtete über Personalbestand, Streifentätigkeit, Bewaffnung und Ausrüstung der Einheiten des BGS und fotografierte den Grenzverlauf sowie die Unterkünfte des BGS Ratzeburg und Schwarzenbek. Durch Verbindungen zu Angehörigen des BGS und des Zolls erfuhr M. Einzelheiten über Republikflüchtlinge und ihren Verbleib, die er berichtete. M. erkundete Straßen, Kanäle und Brückenbauwerke im Grenzbereich und beschrieb und fotografierte Sprengschächte und Sperren. Er berichtete über BW-Manöver, Kasernen und FM-Anlagen. Aus dem zivilen Bereich berichtete M. über Arbeitskollegen aus seiner Zeit bei der Bergedorfer Zeitung von 1975 - 1979 und bei den LN von 1979 - 1989. Darüber hinaus tippte M. gem. Aufträgen, Personen die für das MfS operativ interessant waren. Das „Tippen“ von Personen hatte die Bedeutung der Ausforschung dieser Personen; wobei von besonderem Interesse Personen aus dem Polizeibereich, BGS und Bundesswehr waren. M. berichtete während des Tatzeitraumes unter anderem über ca. 15 Personen aus dem Bereich RZ, HH und LG. Dabei nannte der M. auch Einzelheiten über die ausgeforschten Personen, wie z.B. Eheschwierigkeiten und Alkoholprobleme. Die große Anzahl von Informationen vom Zoll und aus dem BGS Bereich erlangte M. durch die Nutzung gut informierter Abschöpfquellen. Das waren Personen aus den Bereichen BGS /Zoll oder Polizei, deren Bekanntschaft er als Journalist ab 1975 machte.
Anfang der 80er Jahre lernte M. den damaligen POK im BGS, den Zeugen E. Riß kennen, der beim Stab der GSA in Lübeck (sachlich falsch) tätig war.
Über den Zeugen Riß erfuhr M. von Tätigkeiten des BGS bei Fahndungen, von Kontrolltätigkeiten des BGS an Grenzübergangsstellen, von Ausrüstung und Bewaffnung des BGS, von polizeilichen Aufgaben des BGS bei Fahndungen, vom Aufbau eines Aufklärungstrupps bei der GSA K 2, von Übungen von BGS-Einheiten und von gemeinsamen Fahndungen des BGS und der Kripo. Außerdem über die Sicherung beim KKW Krümmel, über Aktivitäten des Verfassungsschutzes a.d. Grenze, über Schulungen von BGS-Angehörigen u.d. Personalbestand der Dienststelle bis hin zu Aufmarschplänen für die BW im Krisenfall. Alle Informationen gab der M. über B. in der eingangs beschriebenen konspirativen Form weiter. Außerdem schöpfte der M. den Zeugen Rudolf Hohensee ab, der 1982 der Leiter ZKomRS war. Ab 1989 nutzte M. entsprechend eines schriftlichen Auftrages der ihm über B. übergeben wurde, die Freundschaft mit dem Zeugen Hohensee und erfuhr von diesem u.a. über Aktivitäten des Verfassungsschutzes im Grenzgebiet, über Grenzüberwachungsmaßnahmen, von Ausbildungs- und Kontrolltätigkeiten des BGS, von Grenzüberschreitungen durch westdeutsche Personen, von gemeinsamen Grenzstreifen des BGS und des Zolls, von Aktivitäten des Verfassungsschutzes und daher von bestimmten Ermittlungshandlungen a.d. Grenze von Überwachungen von Grenzverletzern durch den Verfassungsschutz, von Verbindungen des Verfassungsschutzes zum ZKomRZ, von gemeinsamen Aktivitäten des Zolls a.d. Grenze, von zuständigen MA des Verfassungsschutzes für den Kreis Herzogtum Lauenburg. Alle diese Infos lieferte M. an seinen Führungsoffizier B. Im Laufe des Anklagezeitraumes kam es zu mindestens 54 nachrichtendienstlichen Treffs zwischen M. und B. auf dem Staatsgebiet der ehemaligen DDR. Über den B., den Führungsoffizier des M. erhielt der B vom MfS im Anklagezeitraum mindestens DM 83.000,-- in bar als Entlohnung für seine Tätigkeit. Die Zahlung erfolgte in Beträgen zwischen DM 500,-- und DM 2.000,-- im Verlaufe der Treffs und Materialübergaben. Daneben wurde der M. mit Prämien und Ehrenmedaillen ausgezeichnet. Der letzte verabredete Kontakt am Grenzzaun zwischen M. und B. sollte im September 1989 stattfinden. Der M. versichte mittels Infrarotsprechgerät Kontakt mit dem Führungsoffizier aufzunehmen, was jedoch nicht mehr möglich war. M. vernichtete daraufhin seine als Container präparierte Aktentasche, Chiffrierunterlagen und ein Infrarotsprechgerät. Ein Aufbewahrungscontainer für das IR-Sprechgerät und ein für nachrichtendienstliche Tätigkeit erworbenes Radio übergab M. den Ermittlungsbehörden. Die gelieferten Infos wurden von M. über B. an das MfS weitergegeben. Aufgrund der kontinuierlichen Berichterstattung durch M. war das MfS in der Lage, auf jedes Vorhaben im Grenzbereich durch die westdeutschen Sicherheitsbehörden entsprechend zu reagieren, bzw. vorher eigene Maßnahmen einzuleiten.
Das ist ein Vergehen, strafbar nach § 99 (1) Nr. 1 StGB dem folgt §§ 101, 101 a Nr. 1 und 73 (1) Nr. 1 StGB.
5 Richter Ehrich (infolge RiE): „Beweisaufnahme“
- Mosers Lebenslauf, Decknahme „Harald Wallis“ als „Kundschafter des Friedens“
M.:
Kündigung bei LN August 93, weil jemand M. verpfiffen hat, daher hat M. Strafantrag gegen Unbekannt wegen Verleumdung gestellt! Wegen einer undichten Stelle hat M. seinen Arbeitsplatz verloren!
RiE:
Verdient bei LN ca. DM 4.000,-- netto, dann Arbeitslosengeld ca. DM 3.000,-- und jetzt Arbeitslosenhilfe ca. DM. 2.600,--. Das Geschäft seiner Frau sei hoch verschuldet, seine Eltern hatten die Bürgschaft dafür übernommen.
RiE:
Nun chronologischer Ablauf der Agententätigkeit
Als 5-jähriger mit den Eltern in den Westen gekommen (1956). Regelmäßig Besuche bei Tante und Großeltern in Wernigerode.
- Anbahnung, wie üblich mit Druckmittel
- Einreiseverweigerung und Repressalien gegen die Verwandtschaft in der DDR.
- Bis 1986 4.000 Seiten Aktenmaterial von M
- 4 Ehrenmedaillen und Auszeichnungen
- mindestens DM 83.000,-- in bar
- letzter Kontakt 1989 kam nicht mehr zustande
- sind Sie bereit zur Aussage:
M.:
Ja.
- Nach Auffassung des Richters sind keine Zeugen notwendig
- Zum Antrag über Ausschluss der Öffentlichkeit steht der § 173b GVG entgegen.
Anwalt:
Wie ziehen den Antrag zurück
RiE:
- Wenn die Sache 1985 zu Ende gewesen wäre, säßen wir nicht hier, dann wäre die Sache verjährt gewesen (5 Jahre Verjährungsfrist)
- Wie war das mit der Kommunikation?
- Fahrten rüber oder per Radio mit verschiedenen Zahlengruppen
- Geheimtinte (M.: War zu aufwendig)
- „Quasisender“ (M.: Funktionierte nicht)
- Schnellsender (M.: Das funktionierte) mit Container im Baumstamm mit Schraubstock im Keller wurde M. an der grünen Grenze übergeben.
- Viermal Treffen in HH mit Material- und Geldübergabe (vierteljährlich
DM 2.000,--) (M.: Sogenannte Skatabende)
- Wurfschneisen
- Grenztreffs an der Grenze im Bereich der Elbe/Gudow.
- 4-6 x geschleust worden (in GrTr-Uniform) in die Ortschaft VIER bei Boizenburg mit dem Tarnnamen „Liederabend 1 und 2“, 1 = Ortschaft
VIER, 2 = Raum Bahnlinie Büchen
M.:
Übergabe Material: Bau der Köhlbrandbrücke, Elbtunnel, Elbbrücke, Kontrollen des GSE, BW-Übungen Wentorf = alles harmlos, weil auch in der Zeitung zu lesen.
RiE:
- 1974 „Tippen“ von Mitarbeitern (z.B. Hohensee)
- 1975 Bergedorfer Zeitung (Moser: belanglos)
- 1976 Pol-Dienststelle Lauenburg (Moser: belanglos)
- Konzept über Organisation des GS-Einzeldienstes
M.:
Alles aus der Zeitung
- Kontrolltätigkeit BGS/Zoll während der Schleyeraffäre
- durch eigene Beobachtungen
RiE:
- Abgeordnetenliste SH
- Entwurf eines Kat.-Schutzplanes/Projekt CDU
M.:
Wurde der Presse zur Verfügung gestellt
RiE:
Wechsel zu LN
M.:
Dann wurden Zuständigkeiten verteilt und da ich aus RZ kam, wurde mir Hzgt. Lbg. Pol/BGS usw. „aufgedrängt“
RiE:
- Fotos Staustufe Geesthacht
- FM-Übung Herbstwind
- Fotos Grundriss BGS-Kaserne RZ u. 25-jähriges Jubiläum RZ mit Fotos
M.:
Bekam jeder Besucher
RiE:
81/82: „Nun kommen wir zu Herrn Riß, nun wird es interessant!“
M.:
Herrn Riß habe ich zufällig bei der Schwangerschaftsgymnastik getroffen und weil die Frauen sich gut verstanden befreundeten wir uns
RiE:
Sie waren für die LN, weil wohl umgegliedert wurde, zuständig für BGS und Zoll. Sie haben B. Informationen über ein Tarnpunktverzeichnis und Aktivitäten des Verfassungsschutzes, Übungen des BGS im Grenzraum geliefert und als Quelle Riß angegeben.
M.:
Das mit der Quelle war nur, um bei meinem Führungsoffizier die Glaubwürdigkeit zu unterstreichen.
RiE:
1983/84 berichteten Sie an B über - Einweisung von BGS-Offizieren an der Grenze - über GZD, GAD-Stellen, Zollboot u.d. RZ-See
M.:
Konnte man alles in der Zeitung lesen.
RiE:
Ab 1983 waren Sie mit Hohensee befreundet. Hier berichten Sie über Verfassungsschutzgeschichte
M.:
Habe ich erfunden!
RiE:
Hier existiert eine amtliche Liste aller GZD-Leute aus Büchen
M.:
Die wurden mir vorgestellt, den Rest hatte ich a.d. Telefonbuch
RiE:
Sie berichten über Übertritte W/O und O/W und einen Flüchtlingsbefragungsbericht
M.:
Habe ich zufällig a.d. Schreibtisch von Hohensee liegen sehen, als dieser den Raum verlassen musste
RiE:
1986 gibt es Berichte über Aufmarschpläne BW/BGS im Krisenfall, Berichte über Grenzaufklärer, über Infrarotgeräte des BGS in Hubschraubern
RiE:
Lässt in der Akte nachsehen und gibt bekannt, dass als Quelle Krähmüller, Kersten und Riß angegeben sind
- Berichte über Gartenschlägertreffs.
Sie haben Orden und Geschenke erhalten und mit Rotkäppchensekt darauf angestoßen
M.:
Das war in Boizenburg, die Orden blieben in der DDR
RiE:
In Ostberlin wurde ein Konto entdeckt, das auf Ihren Namen lautete, mit Einzahlungen in Höhe von DM 62.000,-- einschließlich Zinsen. Es wurden regelmäßig DM 822,90 monatlich eingezahlt. Das Konto ist jedoch inzwischen aufgelöst und das Geld verschwunden.
M.:
Von diesem Konto weiß ich nichts.
RA:
Solche Konten wurden systematisch geführt, um den Staat wegen der Devisen kreditwürdig zu machen.
RiE:
- Nach Polizeifeststellung hat es bis 1986 nachweislich 54 Treffs gegeben. Pro Treff ca. DM 2.000,--
- Zur Frage der Zeugen: Frau Moser, was soll sie sagen und wozu?
M.:
Sie hat Veränderungen an mir festgestellt. Der Grund war der enorme Druck.
RiE:
Verlust des Arbeitsplatzes. Ist es so, dass der Verlust des Arbeitsplatzes eine Folge dieses Verfahrens ist?
M.:
Ja
RiE:
Zur Frage der Zeugin Frau Moser und Zeuge Benkert (K 25)
RA:
Wird verzichtet
RiE:
Die Beiziehung von Akten des Verfassungsschutzes, falls vorhanden?
RA:
Wird verzichtet
(Anmerkung: Die Stasi-Akten belegen Aktivitäten bis 1986. Ab da, bis 89 wurde keine Akte gefunden. M.E. vermutete der RA, dass die Akten beim Verfassungsschutz seien)
RiE:
Was soll mit den Beweisstücken (Radio, Baumstamm, Pass) geschehen? - Unterliegen der Einziehung!
M.:
Brauch ich jetzt nicht mehr.
Ende des 1. Verhandlungstages 15.31 Uhr
Weiter 27.09., 09.00 Uhr
(Anmerkung): Die ganze Beweisaufnahme wirkte zerfahren, uninteressant, schwammig. Zwei der Richter waren ständig dabei Stasi-Akten durchzublättern und bestimmte Seiten dem RiE zu zeigen, der mal darauf einging und mal nicht. Konkrete Nachfragen wurden Moser selten gestellt, der die Fragen dann nichtssagend beantwortete. Z.B.: „Daran kann ich mich nicht mehr erinnern“ oder „das konnte man ja auch in der Zeitung lesen.“ Der „pressegeile Barschel“ wurde von M. mehrfach zitiert. Barschel habe Moser um Luftaufnahmen z.B. neue Grenzübergangsstelle Gudow gebeten. Obwohl Moser keine Luftbildgenehmigung besaß, habe Barschel bei den BGS-Piloten erwirkt, dass M. fotografieren durfte. Eine Luftbildgenehmigung für „einige“ Bilder wurde nachträglich beantragt und genehmigt. Der Rest wie z.B. Flughafen Blankensee ging an den Führungsoffizier. Warum, wurde nicht eindeutig hinterfragt.
Die StA hat während des ganzen Tages m.E. nur dreimal etwas hinterfragt, z.B. „Kann es sein, dass Sie von Ihrem Führungsoffizier zur Tätigkeit bei der Bergedorfer Zeitung und dann LN veranlasst wurden?“ M.: „Nein.“
Als es um den GAP BW ging, wurde aus der Akte ein Deckname „Harald Walter“ zitiert. M.: „Das weiß ich auch nicht, wer das war.“ Es wurde nicht weiter gefragt.
2. Tag: 27.09.1994
Plädoyer der StA’in:
(Anmerkung: Grundlage war die Anklageschrift, die eigentlich nur durch folgende Ergänzung verändert wurde.)
... hat sich schuldig gemacht gem. ... siehe Anlage.
... wissentlich und willentlich für einen Geheimdienst einer fremden Macht ... unter eindeutiger Beweislage ...
... es stellt sich daher nicht die Frage, ob der Angeschuldigte Moser zu bestrafen ist, sondern wie!
- Es liegen keinesfalls Milderungsgründe gem. § 99 (3) StGB vor,
- der Strafrahmen des § 99 (1) StGB spricht von Freiheitsentzug bis zu 5 Jahren oder Geldstrafe
- ein Verratsschaden für die Bundesrepublik Deutschland ist nicht entstanden
- verschärfend wirken die Berichte der 80er Jahre: TP, Brücken- und Sprengschächte, BGS, BW.
- zu berücksichtigen sind:
Anwerbung kam vom Osten
über ein Jahr arbeitslos
bei der Anwerbung war M. ca. 20 Jahre alt
Geständnis des M.
es fehlen die Akten 86 - 89
das Geständnis bei der Polizei umfasst ca. 120 Seiten
- auf der anderen Seite erschwerend:
der Tatzeitraum von 18 Jahren
4000 Seiten von 71 - 86
die kontinuierliche Energie vom „Atlas“ bei zu regelmäßigen Treffs
der falsche Pass, die Schleusen, Geheimschrift, die aufgebügelt werden
musste
im Privat-Pkw die Zahlenkombination über Langwelle abgehört
Ausbildung im chiffrieren und dechiffrieren
gutgläubige Personen ausgespäht, Abschöpfquelle Riß und Hohensee
diese Taten seien erfolgt aus Angst um seine Tante und Familie; dies in
dieser Form kann M. nicht abgenommen werden
4 Ehrenorden, letzte Ehrung 1985
im September 89 ging M. noch zum Liederabend, treu und brav, obwohl
die Gegenseite nicht mehr da war
aufgebauschte Nachrichten, um sich wichtig zu tun und das MfS zu
interessieren, seine Freunde gefährdet, als er sie als Quelle angab.
Nach alledem scheint die Verhängung einer Freiheitsstrafe unerlässlich.
5.1
Nach dem Umstand, dass nun veränderte politische Verhältnisse herrschen, halte ich eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren für angemessen.
Auf Bewährung, wäre zu prüfen, aber die Sorge um seine Familie rechtfertigt nicht sein Tun.
Moser ist ein schwacher Mensch, der gerne diese Rolle gespielt hat.
- 4000 Seiten, 18 Jahre lang und ca. DM 83.000,--, andererseits vor 18 Jahren war er 20 Jahre alt und das Loslösen mit den Jahren immer schwieriger wurde.
- Durch die Wiedervereinigung und der Auflösung der StaSi, daher kann die Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden.
5.2
Die Frage des Verfalls von DM 83.000,--. Eigentlich hat M. sich nicht erheblich bereichert, aber dadurch das Leben komfortabler eingerichtet. Dieser Vorteil sollte ausgeglichen werden; er hat auch darauf keine Steuern gezahlt. Es bestand auch zu keiner Zeit eine Notlage.
5.3
Für eine Dauer von 3 Jahren die Aberkennung, öffentliche Ämter zu bekleiden.
5.4
Ich beantrage daher:
- Freiheitsstrafe von 2 Jahren zur Bewährung auf 3 Jahre
- Auflage 150 Stunden gemeinnützige Arbeit
- Verfall von DM 83.000,-- anzuordnen mit Rückzahlung monatlich DM 600,--
- für 3 Jahre Aberkennung öffentl. Ämter
6
Plädoyer RA:
- stellt fest, dass M. die Taten begangen hat, aber wer war der Verursacher?
Kurz:
DDR-Geschichte mit den Großeltern und der Tante, die Ausreise 1956 aus der DDR und die anschließenden Besuche bei der Tante und seinen Verwandten und, und, und ... und daher war es klar, dass die StaSi mit ihren schmutzigen Methoden auf M. zukommen musste und dann mit Druck und Erpressung gegen Tante und Eltern drohte. Und diese Drohungen sind auch bei einigen wahrgemacht worden. M. wurde ständig von Alpträumen geplagt. M. war nahe dran, sich selbst umzubringen. M. hat oft versucht, sich z.B. bei Hohensee zu offenbaren, aber es fehlte der letzte Kick, die Familie sollte keinen Schaden nehmen. Er hat absichtlich den Wehrdienst verweigert und Zivildienst geleistet, worauf sein Führungsoffizier bei seinen Vorgesetzten Ärger bekommen hatte.
M. hat viele Jahre unter starkem seelischem Druck gestanden und seinen Arbeitsplatz verloren, aus Sorge um seine Familie hat er keinen Selbstmordversuch begangen und sich auch nicht offenbart. Er hat keinem Menschen an Leib und Seele geschadet.
Am 01.12.92 kam die Kripo und hat ihm ein zweites Mal den Boden unter den Füßen weggerissen. Seine Ehefrau befindet sich jetzt noch in ärztlicher Behandlung. Die StA HL hat versichert, dass LN nichts von den Ermittlungen erführe!, aber dennoch hat LN davon erfahren und ihn gezwungen zu kündigen. Seine ehemaligen Kollegen stürzen sich nun wie die Geier auf ihn. Seine Kollegen, siehe LN von heute „Der Spion, der aus der Redaktion kam“ sitzen auch heute im Gerichtssaal, um ihn niederzumachen. Tochter und Geschäft der Frau leiden darunter, Seine Eltern haben die Bürgschaft für das Geschäft übernommen. Bitte zu berücksichtigen. M. ist durch die miesen Machenschaften der Stasi zu seinem Tun gezwungen worden.
(Anmerkung: Dann langer Prolog über die Wiedervereinigung, über die neuen Bundesbürger und den neuen Rechtsstaat, von dem die neuen Bundesbürger so enttäuscht sind. Die Generalprävention sollte mehr, insbesondere bei Stasi-verfahren geübt werden. Die kleinen hängt man, die großen lässt man laufen“).
M. hat ein umfassendes vorbereitetes Geständnis abgelegt. Das Geld hat er der Familie zugeführt und ist nicht mehr vorhanden. M. befindet sich in einer schwierigen Situation, und die wird noch schlechter!
- Bitte mildes Urteil auf Bewährung und Abstandnahme von Nebenfolgen. - Ende -
RiE: - Stand was falsches in der LN - wohl nicht.
- Angeschuldigter M., Sie haben das letzte Wort.
M. Das tut mir ziemlich leid, im Nachhinein!
RiE: Und zum Antrag des Verfalls?
M.: Es ist einfach nicht zu finanzieren!
RiE: Und zum Verlust des passiven Wahlrechts?
M.: Das wäre in Ordnung.
Vertagung von 10.00 auf 11.00 Uhr
7
Urteilsverkündung (11.30 Uhr)
7.1
RiE: Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil:
M. wird wegen Agenten- und Spionagetätigkeit verurteilt zu
- 2 Jahren Freiheitsentzug auf Bewährung auf 2 Jahre ausgesetzt
- 2 Jahre Aberkennung des passiven Wahlrechts
- Rückzahlung von DM 10.000,-- in monatlichen Raten von DM 400,--
- Der M. trägt die Kosten des Verfahrens
7.2
Begründung
- Der Tatbestand ist erfüllt, wenn man überhaupt für einen Geheimdienst arbeitet. Es
besteht nicht der geringste Zweifel an der Erfüllung des Tatbestandes
- Leitlinie der Richter war: - für den Moser (Anmerkung: Ähnlich wie die Gründe des
RA)
und:
aber:
„Wenn man über die Jahre 86 - 89 nichts gewusst hätte, da die Akten verschwunden sind und sie nicht gestanden hätten, wäre die Sache verjährt gewesen!“ und zu Gunsten des M., dass sich die politischen Verhältnisse geändert haben, sonst wäre das Urteil nicht so mild ausgefallen.
Dagegen:
lange Dauer, der Umfang (4.000 Seiten)
auch mit Eifer bei der Sache, um Ihrem Führungsoffizier zu gefallen
die Tatsache, dass Sie Freundschaften ausgenutzt haben, um an Erkenntnisse zu kommen
Sie waren sicher kein Top-Agent, aber für die andere Seite wichtig, daher ein relativ hoher Agentenlohn und die technischen Investitionen. Zusammengefasst handelte es sich doch um eine Agententätigkeit mit nicht unerheblichem Gewicht
deshalb der StA folgend: 2 Jahre Freiheitsstrafe, aber warum zur Bewährung; hier auch der StA gefolgt, allein wegen der geänderten politischen Verhältnisse. Verfahren wäre ganz anders ausgefallen
Bewährungszeit nur 2 Jahre, verhältnismäßig kurz, weil kein Zweifel besteht, dass Sie sich bewähren werden
Nebenfolgen: Aberkennung des passiven Wahlrechts auf 2 Jahre, also keine Stellung bekleiden, die auf Vertrauen des Bürgers gesetzt ist
Bewährungszeit: 2 Jahre ist eine optimistische Bewährungszeit
- der Antrag der Sozialarbeit wurde abgelehnt, weil Sie sich selbst resozialisieren
sollen und Sie sich mit voller Kraft für einen neuen Beruf engagieren sollen.
Ein maßgebender Umstand war, dass es die DDR nicht mehr gibt!
(Es folgte noch Belehrung über Revision, Kosten des Verfahrens)
Ende: 11.58 Uhr
Als Zuschauer vom BGS anwesend:
26.09.94
LtdPD Buwitt, GS-Schule
PHK Matera, GSA N 1
POK Holst, GSA N 2
PHM Feußner, GSA N 1
PHM Haak, GSA N 2
1 PVB, a-Zug GSA N 2
Kdr a.D. Brücker
27.09.94
PHK Matera, GSA N 1
POK Holst, GSA N 2
PHM Feußner, GSA N 1
PHM Haak, GSA N 2
1 PVB, A-Zug GSA N 2
Oberst a.D. Schwarz
(Matera) PHK