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4762 ► Deutscher Bundestag - 125. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. März 1951

 

(Dr. Schumacher)

 

(Sehr richtig! bei der SPD.)

 

Die sowjetische Politik versucht jetzt, entgegen der Tatsache, daß sie die Deutschen, als bloßes Material handhabt, bei denselben Deutschen das Gefühl zu erzeugen, als ob sie ein selbständiges, nach eigenem Willen handelndes, souveränes Subjekt seien. Tatsächlich ist die Ostzonenverwaltung nur der Bestandteil eines Satellitensystems, in dem es nur einen Willen gibt, nämlich den Willen des zentralen Auftraggebers und Herrschers, der Sowjetunion.

 

(Sehr richtig! bei der SPD und rechts.)

 

Das System von Pankow ist die völlige Entdeutschung und die völlige Sowjetisierung der Politik.

 

(Beifall bei der SPD, in der Mitte und rechts.)

 

Die angebliche deutsche Initiative aus dem Osten für die Einheit ist ein Bestandteil der national-russischen Außenpolitik.

 

(Zuruf rechts: Ausgezeichnet!)

 

Sie dient der Stärkung der sowjetischen Position gegenüber den westlichen Alliierten. So war es vor jeder Viererkonferenz. So war es vor Moskau im März 1947, so war es vor London im November 1947, so war es vor Paris im Mai 1949, und so ist es auch heute wieder. Man will bei unserem Volk den Blick für die Realitäten der Macht und für die Motive der Machtpolitik vernebeln, und man will den Typen, die ausgesprochene Marionetten sind, einreden, aus eigenem freiem Willen handeln zu dürfen.

 

(Sehr gut! rechts.)

 

Nun ist Propaganda bei einem Volk mit den speziellen Erfahrungen des deutschen Volkes in ihrer Wirksamkeit doch recht beschränkt. Dafür haben wir ein großes Beispiel, das Beispiel Berlins. Der 20. Oktober 1946 wäre nicht möglich gewesen, wenn die Propaganda allmächtig wäre. Der 20. Oktober 1946 ist der Sieg des Willens zur Freiheit über die Propaganda der Totalitären.

 

(Lebhafter Beifall bei der SPD, in der Mitte und rechts.)

 

Jetzt steigert sich die Intensität der Propaganda. Die vorsichtigste Sehätzung über die Briefe und Postsachen, die wöchentlich in das Gebiet der Bundesrepublik kommen, beläuft sich auf mehr als 2 Millionen Stück wöchentlich!

 

(Hört! Hört! in der Mitte.)

 

An dieser Stelle ist es unsere Aufgabe, die Ahnungslosen, Wohlmeinenden in unserem Volk vor jeder Form der Gemeinsamkeit zu warnen, mag sie noch so freundlich angebahnt werden.

 

(Sehr richtig! bei der SPD und in der Mitte.)

 

Es darf keine Unterschriften geben, es darf keine Gemeinsamkeit der Kundgebungen geben, es darf keine Aktionseinheiten geben.

 

(Lachen bei der KPD.)

 

Es ist Tatsache, daß die Sozialdemokratische Partei in der Bundesrepublik 8000 Ortsvereine hat. Kein einziger Ortsverein hat mit ihnen verhandelt.

 

(Bravo-Rufe bei der SPD.)

 

Die agitatorische Betriebsamkeit kann uns nicht darüber hinwegtäuschen, daß zwischen ihrem System und den Menschen in diesem Lande jede menschliche Beziehung fehlt.

 

(Sehr richtig! - Lebhafte Zustimmung.)

 

Den Wohlmeinenden, den Redewütigen und Repräsentationshungrigen hier in diesem Lande möchte ich sagen: Man kann nicht mit den Peinigern verhandeln und die Gepeinigten ignorieren.

 

(Beifall.)

 

Die Opfer der Freiheit, die Eingekerkerten, die Verschleppten, die gesamten Bewohner der Ostzone, die Kriegsgefangenen, sie alle haben Anspruch auf unsere menschliche und nationale Solidarität.

 

(Lebhafte Zustimmung mit Ausnahme der KPD.)

 

In der Propaganda ist jetzt das soziale Moment etwas in den Hintergrund getreten. Es ist als Realität aber immer da. Die Bundesrepublik sollte in einer Periode der steigenden Preise, denen Löhne, Gehälter und Renten nicht nacheilen können, daran denken, diese Dinge mit letztem Ernst zu behandeln.

 

(Sehr richtig! bei der SPD.)

 

Gerade die demokratische Staatsverfassung ist stärker als jede andere auf die soziale Fundamentierung angewiesen.

 

(Zustimmung bei der SPD.)

 

Worte gegen den Kommunismus verlieren an Wirkung ohne Taten für die soziale Gerechtigkeit.

 

Die Kommunisten machen jetzt eine große Propagandaaktion mit angeblichen Preissenkungen, die in der Sowjetzone durchgeführt sein sollen. Man will damit die soziale Deklassierung der arbeitenden Menschen und das Aufhören jeder sozialen Gemeinschaft durch Ausbeutung und Herabdrücken auf ein Helotendasein verdecken. Man will den Blick ablenken von dem ungeheuren wirtschaftlichen Rückschritt in den Satellitenländern und in der sowjetischen Besatzungszone.

 

(Sehr richtig! rechts.)

 

Man sollte bei uns nie vergessen: Wenn einmal das Wort galt: Die Gerechtigkeit ist die Grundlage der Staaten, dann heißt es heute: Die soziale Gerechtigkeit ist die Grundlage der Demokratie.

 

(Lebhafter Beifall bei der SPD).

 

In den Mittelpunkt der östlichen Propaganda ist jetzt das nationale Moment getreten. Es wird dort das Problem gelöst, wie man nationalrussische Politik mit nationaldeutschen Phrasen macht.

 

(Sehr gut! in der Mitte.)

 

Wenn ich diese nationale Agitation untersuche, dann ist das ins Auge springende Resultat: Diese nationalistische Agitation aus dem Osten hat keine einzige eigene Idee und keine einzige neue Idee. Alle Parolen sind Zwangsanleihen aus den diversen Mottenkisten des deutschen Nationalismus.

 

(Lebhafte Zustimmung bei der SPD.)

 

Sie sind alle so „angenehm“ historisch; man trifft nur alte Bekannte wieder.

 

(Heiterkeit.)

 

Die Satellitenparteien der sowjetischen Besatzungszone, die offiziell nicht auf das Programm des Leninismus-Stalinismus verschworen sind, haben dabei eine besondere Aufgabe. Sie haben die Aufgabe, in gewissen Schichten des deutschen Volkes in der Bundesrepublik dieses Geraune und Gewisper zu erzeugen, daß diesmal Sowjetrußland ganz besondere, für die Deutschen außerordentlich positive Maßnahmen plane. Wir kennen aber diese Methode aus den Perioden vor Beginn jeder der vergangenen Außenministerkonferenzen. Außerdem mögen viele Leute, die heute noch in der Ostzone ...