Treffpunkt: Bahnhof Staaken, Berlin.
Kamera, Ton & Edit: © Ralf Gründer, Berlin (20.07.2024)
Dokumentation: © Ralf Gründer, DDT - Das freie Dokumentarfilm-Team, Berlin
Segment 1: Am Treffpunkt Bahnhof Staaken trifft Michael Cramer auf seine Mitradler, mit denen er zusammen auf den Spuren der Berliner Mauer bis zum Bahnhof Henningsdorf radelt. Am Anfang der Tour wurden 69 Räder und 70 Personen gezählt.
Besonders wichtige Stationen dieses Mauerstreifzuges sind der Geschichtspark - Gedenkstätte KZ-Außenlager - Falkensee und die ehemalige Führungsstelle der Grenztruppen in Nieder Neuendorf.
Schauen Sie bitte auch das Video: Treffpunkt Berlin: Nennhauser Damm. Die Zeitzeugen Sihurd Hilkenbach und Georg Pahl besuchen den Nennhauser Damm.
Tipp:
Anmerkung: Bei 17:16 im Video erwähnt die Vortragende, dass die KZ-Häftlinge von den Russen befreit wurden. Dabei wurde sie zweimal von einem Mitradler verbessert der ausrief: Sowjets.
Zum Thema "Sowjets" bzw. "sowjetische Menschen" hat der bekannte Schriftsteller Christoph Hein in seinem Buch "Untern Staub der Zeit" folgendes geschrieben:
Zitat: "Der Pockennarbige stand neben uns und betrachtete abschätzig meine Kleidungsstücke. Die Wörterbücher nahm er in die Hand. Griechisch. Lateinisch. Sagte er belustigt. Wer braucht denn das noch? Wenn Sie Medizin studieren wollen, müssen Sie Latein lernen, erwiderte Vater. Und Griechisch und Hebräisch. Da gibt es auch noch Berufe, wo man diese alten Sprachen beherrschen muss. Die Pfaffen vermutlich, sagte er grinsend. Gewiss, Pfarrer, Historiker, Altertumsforscher, Linguisten. Es gibt einige Berufe, wo man die historischen Sprachen, die sogenannten toten Sprachen benötigt. Na, danke schön für die Belehrung. Da bin ich jetzt richtig schlau geworden. Aber ich sehe ein sowjetisches Wörterbuch haben Sie auch dabei. Mit der Sprache wird der Junge mehr anfangen können. Ein sowjetisches Wörterbuch. Was soll das denn sein? Na, das hier. Oder was ist das? Das ist ein russisches Wörterbuch. Russisch ist eine Sprache, aber von einer sowjetischen Sprache habe ich noch nie etwas gehört. Der Polizist starrte meinen Vater überrascht an, seine Pockennarben verfärbten sich rötlich. Er kniff die Augen zusammen und schaute sekundenlang schweigend auf Vater. Mehrmals klopfte er mit unseren Ausweisen in der linken Hand auf den rechten Daumen. Dann fragte er knapp nach der Adresse der Oberschule in Weißensee, die ich besuchen würde, und nach der Adresse meiner Tante notierte sich aber nichts. Packen Sie alles ein und gehen Sie. Na los! Raunzt er uns schließlich an, gab uns die Ausweise zurück und ging zu seinen Kollegen.
Wir mussten auf dem Bahnsteig warten, bis der nächste Zug kam. Als eine Bahn aus der Gegenrichtung eintraf, die nach Potsdam fuhr, standen die Polizisten aufgereiht das ganze Gleis entlang und stiegen wiederum immer zu zweit in alle Waggons ein, um die aus Westberlin kommenden Reisenden zu überprüfen. Als unsere Bahn kam und wir eingestiegen waren, sagte Vater: Ein sowjetisches Wörterbuch. Was für ein Idiot! Du hast ihn sehr wütend gemacht. Ich dachte schon, er würde uns verhaften. Verhaften? Ach was, Junge. Da hätte er sich noch lächerlicher gemacht. Dann lachte er laut auf und sagte. Wir haben ihm was beigebracht, Daniel. Das war Volksaufklärung. Also das, was der Staat will und was diejenigen, die dazu in der Lage sind, zu leisten haben. Jetzt hat dieser kleine Idiot etwas zum Nachdenken bekommen. Nun weiß er, dass es eine russische Sprache, aber keine sowjetische gibt. So wie es russische Menschen gibt, aber keine sowjetischen. Denn der Sowjet, das ist lediglich die russische Staatsform. Das Parlament, also das, was in England das Unterhaus ist. Wir nennen darum die Engländer ja nicht Unterhäusler oder? Holt David uns am Bahnhof ab?
Quelle: Christoph Hein: Unterm Staub der Zeit, Hörbuch
Veilleicht wäre es besser, wenn man in der Öffentlichkeit Menschen rechthaberisch verbessert, erst einmal sicherzustellen, dass man weiß, wovon man redet!