§ 27 Anwendung von Schußwaffen

(1) Die Anwendung der Schußwaffe ist die äußerste Maßnahme der Gewaltanwendung gegenüber Personen. Die Schußwaffe darf nur in solchen Fällen angewendet werden, wenn die körperliche Einwirkung ohne oder mit Hilfsmitteln erfolglos blieb oder offensichtlich keinen Erfolg verspricht. Die Anwendung von Schußwaffen gegen Personen ist erst dann zulässig, wenn durch Waffenwirkung gegen Sachen oder Tiere der Zweck nicht erreicht wird.

(2) Die Anwendung der Schußwaffe ist gerechtfertigt, um die unmittelbar bevorstehende Ausführung oder die Fortsetzung einer Straftat zu verhindern, die sich den Umständen nach als Verbrechen darstellt. Sie ist auch gerechtfertigt zur Ergreifung von Personen, die eines Verbrechens dringend verdächtig sind.

(3) Die Anwendung der Schußwaffe ist grundsätzlich durch Zuruf oder Abgabe eines Warnschusses anzukündigen, sofern nicht eine unmittelbar bevorstehende Gefahr nur durch die gezielte Anwendung der Schußwaffe verhindert oder beseitigt werden kann.

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(4) Die Schußwaffe ist nicht anzuwenden, wenn

a) das Leben oder die Gesundheit Unbeteiligter gefährdet werden könnten,
b) die Personen dem äußeren Eindruck nach im Kindesalter sind oder
c) das Hoheitsgebiet eines benachbarten Staates beschossen würde.

Gegen Jugendliche und weibliche Personen sind nach Möglichkeit Schußwaffen nicht anzuwenden.

(5) Bei der Anwendung der Schußwaffe ist das Leben von Personen nach Möglichkeit zu schonen. Verletzten ist unter Beachtung der notwendigen Sicherheitsmaßnahmen Erste Hilfe zu erweisen.“

Der in § 27 Abs. 2 Satz 1 geschaffene besondere Rechtfertigungsgrund für den Schußwaffeneinsatz muß im Zusammenhang mit der in § 213 Abs. 3 StGB/DDR getroffenen Regelung gesehen werden.

Danach wurde wegen ungesetzlichen Grenzübertritts im schweren Fall, d.h. wegen Verwirklichung eines Verbrechenstatbestandes, u.a. bereits derjenige zur Verantwortung gezogen, der die Tat zusammen mit anderen beging (Abs. 3 Nr. 5), bereits wegen einer einschlägigen Tat bestraft worden war (Abs. 3 Nr. 6) oder die Tat mit besonderer Intensität durchführte (Abs. 3 Nr. 3).

Nach Inkrafttreten des Grenzgesetzes wurde im Ministerium für Nationale Verteidigung unter Einbindung des Kommandos der Grenztruppen fortlaufend geprüft und erörtert, ob eine Präzisierung der getroffenen gesetzlichen Regelungen durch entsprechende Schußwaffengebrauchsbestimmungen vorgenommen werden müßte.

Obwohl in der Folgezeit mehrere Entwürfe der

„Bestimmungen über die Anwendung der Schußwaffe bei der Sicherung der Staatsgrenze der DDR"

vorgelegt wurden, konnte bisher eine entsprechende Neufassung des Ministers für Nationale Verteidigung nicht ermittelt werden.

 


Tipp: Lit.-Tipp 1: Siekmann, Hanno
Das Unrechtsbewusstsein der DDR-"Mauerschützen" / von Hanno Siekmann. - Berlin : Duncker und Humblot, 2005. - 222 S. ; 23 cm.
(Schriften zum Strafrecht ; 163) Zugl.: Bielefeld, Univ., Diss., 2003.
ISBN 3-428-11451-5
Lit.-Tipp 2: Seidel, Knut
Rechtsphilosophische Aspekte der "Mauerschützen"-Prozesse / von Knut Seidel. - Berlin : Duncker & Humblot, 1999. - 311 S. ; 24 cm.
(Schriften zur Rechtstheorie ; H. 189) Zugl.: Saarbrücken, Univ., Diss., 1998.
ISBN 3-428-09748-3
Lit.-Tipp 3: Roggemann, Herwig
Systemunrecht und Strafrecht : am Beispiel der Mauerschützen in der ehemaligen DDR / Herwig Roggemann. - Berlin : Berlin-Verl. Spitz, 1993. - 167 S. ; 21 cm. (Quellen zur Rechtsvergleichung aus dem Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin ; 28) Literaturverz. S. 72 - 75.
ISBN 3-87061-412-9
Tipp 4: Huhn, Diether
Mauerschützen : 2 Vorlesungen über d. Landgericht Berlin u.a. / von Diether Huhn. - Berlin : Fachhochschule f. Verwaltung u. Rechtspflege, Dekan d. Fachbereichs 2, 1992. - 51 S.
(Beiträge aus dem Fachbereich 2 / Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege Berlin, FB 2 (Rechtspflege) ; 10)