Meine Damen und Herren, die Deutschlandstiftung hat beschlossen, zusätzlich zu den bisherigen Konrad-Adenauer-Preisen für Wissenschaft, Literatur und Publizistik - die bei neun Preisverleihungen 25 mal verliehen wurden – einen Konrad-Adenauer-Freiheitspreis zu stiften. Dies ist unser erneutes Bekenntnis zur unteilbaren Freiheit aller Menschen, ist Ausdruck unsrer Entschlossenheit, den Kampf um die Menschenrechte mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln zu unterstützen. Dieser Freiheitspreis ist zugleich die Manifestation unserer unverbrüchlichen Solidarität mit allen jenen, die im kommunistischen Machtbereich wegen ihres entschlossenen Einsatzes für die Freiheit und Einheit unseres ganzen Vaterlandes das schwere Los eines politischen Gefangenen auf sich nehmen müssen.

Der erste Konrad-Adenauer-Freiheitspreis geht an einen jungen Deutschen, der am 17. Juni 1977 eine offene Postkarte in den freien Teil Berlins schrieb, auf der zu lesen war: „Grüße zum Tag der Deutschen Einheit“.  Unterschrift: „Nico“.

Nico Hübner, geboren am 5. Februar 1956 in Berlin-Ost, beide Eltern Funktionäre des kommunistischen Systems, stellte seinen ersten Antrag auf Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der „DDR“ am 15. Februar 1977. Über ständig wiederholte Anträge bis zur Verweigerung des Kriegsdienstes in der „Nationalen Volksarmee“ als Protest gegen die permanente Verletzung des Vier-Mächte-Abkommens über Groß-Berlin, das die totale Entmilitarisierung von ganz Berlin vorschreibt, führt ein gradliniger Weg politischen Bekennens.

„Für mich existiert kein ‚sozialistischen Vaterland‘, sondern nur ein deutsches Vaterland.“

So beschrieb der damals 21jährige sein Bekenntnis zur deutschen Einheit. Und damit begann sein Leidensweg im stalinistischen Unrechtssystem. Am 14. März 1978 wurde er verhaftet. Die zunächst vorgesehene Anklage wegen „Wehrdienst-Verweigerung“ wurde - offenbar unter dem Druck der westlichen Alliierten auf die für ihren Ber1iner Sektor nach wie vor verantwortlichen Sowjets - fallen gelassen. Stattdessen aber verurteilten ihn die SED-Schergen am 7. Juli 1978 wegen sogenannter „staatsfeindlicher Verbindungen“ und „staatsfeindlicher Hetze“ zu fünf Jahren Haft.

In einer Ausarbeitung, mit der er sich selbst Rechenschaft über seine Wandlung vom Sohn regimetreuer SED-Funktionäre zum Regime-Gegner gab, faßte er 1977 seine Position zusammen: „Ich will mich nicht einem System beugen, das sich nur durch totalitäre Bewußtseinsmanipulation, Bespitzelung von (Anders-)Denkenden, Erpressung und Verleumdung an der Macht halten kann“.

Hübner war sich völlig im klaren über die persönlichen Konsequenzen, die für ihn aus seiner eindeutigen Haltung entstehen mußten. In der gleichen Studie schreibt er: „So mache ich mich darauf gefaßt, den Strafvollzug eines Regimes von innen kennenzulernen. Denn es ist möglich, jeden Kritiker und jeden Antragsteller einzusperren“. Er hatte gleichzeitig keine Illusion über die Hilfe, die er vom amtlichen freien Deutschland zu erwarten hatte: „Die Politik in der Bundesrepublik Deutschland lehnt es leider ab, zur moralischen Stütze im anderen Teil Deutschlands zu werden“. In den 470 Tagen und Nächten, die er nun im brutalen sozialistischen Strafvollzug verbracht hat, wird er diese Ansicht nicht geändert haben. Dafür kann er aber die Gewißheit haben, daß eine ständig wachsende Welle der Solidarität - im wesentlichen getragen von Arbeitern und jungen Menschen - sich für ihn entwickelt hat...

Nico Hübner wurde zum Symbol des Freiheitskampfes der riesigen Mehrheit der Deutschen, im „Gulag DDR“. Sein Schicksal, sein Leidensweg steht stellvertretend für alle „drüben", die auf den Tag hoffen, an dem auch für sie die Worte aus dem „Lied der Deutschen“ Wirklichkeit werden: „Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland“.

Hübner symbolisiert die deutsche Wirklichkeit auch noch auf eine andere Weise: Während in dem freien Teil Berlins diejenigen in Massen strömen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland sowohl vom Wehr- als auch vom Ersatzdienst zu drücken versuchen, schließen sich im unfreien Teil der Stadt die Gefängnistüren hinter denen, die nicht auf ihre Landsleute schießen wollen und die die alliierten Verträge über Berlin, die die Entmilitarisierung der ganzen Stadt vorschreiben, ernstnehmen. Axel Springer schrieb dazu im März 1978: „Dieser junge Mann war fünf Jahre alt, als die Mauer entstand, war ein Kind, als Peter Fechter vor unseren Augen verblutete, aber Nico Hübner ist ein Mann geworden. Sein Denken und Handeln beweist den Kleinmütigen und Trägen: Freiheitswille und Rechtsbewußtsein wachsen wieder heran. Jüngere stehen, wo Ältere wanken“.

Dieses Einstehen für die Freiheit ehren wir heute. Dies ist kein Akt des kalten Krieges oder der feindseligen Propaganda gegen das Ostberliner Regime. Es ist eine Geste der Solidarität und der Dankbarkeit. Wir sind nicht erpreßbar mit den offenen oder versteckten Hinweisen, wir sollten mit dem Eintreten für Nico Hübner aufhören, dann würde man ihn laufen lassen. Umgekehrt nur geht es: Laßt ihn, den Unschuldigen endlich frei - dann brauchen wir uns nicht mehr um ihn zu sorgen! Weit über Hunderttausend Unterschriften sind durch die Initiative des Christlichen Gewerkschaftsbundes Deutschlands für Nico Hübners Freilassung gesammelt worden. Zigtausende von deutschen Arbeitern haben durch ihre Unterschrift gegen das kommunistische Ausbeutersystem demonstriert. Diese Willensbekundung für den jungen Ostberliner Arbeiter Nico Hübner haben wir durch den Konrad-Adenauer-Freiheitspreis aufgenommen. Er soll ihm zugleich einen ersten materiellen Halt vermitteln, wenn er frei zu uns gekommen sein wird.

Ich bitte Herrn Staatsminister Prof. Hans Meier in Vertretung von Herrn Ministerpräsident Franz Josef Strauß die Urkunde und die damit verbundene Ehrengabe von 16.000 DM treuhänderisch zu übernehmen und den Ministerpräsidenten zu bitten, beides Nico Hübner zu übereichen, sobald er wieder in Freiheit ist. Zugleich bitten wir die Bayerische Staatsregierung, mit Nachdruck die Bundesregierung aufzufordern, ihre Bemühungen um die Freilassung Nico Hübners zu intensivieren.


Tipp:

Dokumente des Unrechts : das SED-Regime in der Praxis / Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen; Untersuchungsausschuß Freiheitlicher Juristen. - Bonn ; Berlin : Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen. - Erscheinungsverlauf: F. [1.1952]; [2.]1955; 3.1957 - 6.1964; damit Ersch. eingest.. - Angaben über Erscheinungsweise und Erscheinungsdauer: Anfangs ohne Zählung. - Hinweise auf parallele Ausgaben - nicht differenziert: 703549-4            Ausz. aus --->;Unrecht als System