Drucken
Zugriffe: 6438

„... Ich stelle fest, daß mir der Zugang zur Bildung (speziell zur Ausbildung in allen Sprachen) verwehrt wird. Ich stelle des weiteren fest, daß Recht- und Verwaltungsvorschriften existieren und Verwaltungsgepflogenheiten vorhanden sind, die eine Diskriminierung im Bildungswesen bewirken.

Dies sind Erfahrungen, die ich in der DDR und in Berlin in der Vergangenheit machte und mit denen ich in der Gegenwart konfrontiert werde. Als ich 1972 eine Lehre in einem VEB-Betrieb begann, löste ich das Lehrverhältnis schon nach kurzer Zeit wieder auf. Aus folgenden Gründen: die Zwangsverpflichtung zur vormilitärischen Ausbildung lehnte ich ab, die Bewußtseinsmanipulation an der Ausbildungsstätte entrüstete mich.

Nach geringer Zeit mußte ich dann gegen meinen Willen (mir wurden Strafen angedroht) in einem anderen VEB-Betrieb als Transportarbeiter arbeiten (dies widerspricht der Verf. von 1968 Art 25/4). Als mir mein Vorgesetzter nach einer politischen Auseinandersetzung schikanös Arbeiten befahl, die unwürdig waren, weigerte ich mich, diese auszuführen. Nach dieser schikanösen Behandlung wurde das Arbeitsklima unerträglich, so daß ich verbal kündigte.

Ich hatte inzwischen eine andere Arbeitsstelle für mich ausfindig gemacht, die meinen Neigungen eher entsprach. Da meinem Vater diese Arbeitsstelle mißfiel, ließ er mich in einen Jugendwerkhof einweisen. Im JWH wurde ich bis zur Vollendung meines 18. Lebensjahres ,sozialistisch erzogen‘. Praktisch kam dabei heraus, das ich mit 18 Jahren keine abgeschlossene Berufsausbildung hatte... Jetzt habe ich eine Tätigkeit als Kleindarsteller am Deutschen Theater. Durch diese Tätigkeit ist es mir möglich, mich in der verbleibenden Zeit weiterzubilden. Und so beschäftige ich mich seit einigen Jahren mit Voluntärphilosophie.

Um aber meine Kenntnisse zu vertiefen, beschloß ich, die lateinische Sprache zu lernen. Nachdem ich versucht habe, einen Lateinkurs an der Volkshochschule zu besuchen, den ich aber aus zeitlichen Gründen dort nicht beenden konnte, wendete ich mich an die Sektion Theologie der Humboldt-Universität. Ich stellte einen Antrag auf Gasthörerschaft für die Sprachen Latein und Hebräisch. Der Antrag wurde bisher dreimal abgelehnt, zuletzt ,aus gesellschaftlicher Notwendigkeit‘. Nachdem ich keine Lehrausbildung, die meinen Fähigkeiten entsprach, abschließen konnte, werde ich jetzt kontinuierlich daran gehindert, meine Bildung zu vertiefen.

Ich ersehe, daß es für mich in der DDR und in Berlin keine Möglichkeit zur individuellen Weiterbildung gibt. Das ist praktisch Ausbildungsverbot. Bildungsverbot wird nach meinen eigenen Erfahrungen immer über politisch Andersdenkende verhängt. Und speziell in meinem Fall kann man sich diese Erkenntnis aus dem in der DDR überall erhältlichen Wörterbuch der Marxistisch-Leninistischen Philosophie holen. Dort heißt es: ,Der Voluntarismus ist in jeder Beziehung absolut unvereinbar mit dem Marxismus-Leninismus und der Politik der marxistisch-leninistischen Partei, die deshalb einen entscheidenden Kampf gegen alle Erscheinungsformen und Tendenzen des Voluntarismus führt‘. Ich beschäftige mich mit dem Voluntarismus, falle also unter den Kreis von Leuten, die von der SED bekämpft werden. Die zuständigen Stellen gewähren nur denjenigen höhere Bildung, die die Politik der DDR bejahen und die den ML nicht in Frage stellen…“

 


{iframe width="550" height="245"}extern/amazon_erich-mielke_1.html{/iframe}

Anmerkungen des Verfasser:

Voluntarismus: Philosophie, nach der der Wille die Grundverfassung des menschlichen Wesens bestimmt (Brockhaus)
ML: Marxismus-Leninismus