Synonyme und Fakten der Berliner Mauer bzw. des „Antifaschistischen Schutzwalls″ der DDR
Mauer (1), Schandmauer (2), Mauer der Schande (3), Blutmauer (4), Kerkermauer (5), Ulbrichtmauer (6), Gefängnismauer (7), „KZ“-Mauer (8), Mordmauer (9), „KZ“-Wand (10), Sperrwand eines Konzentrationslagers (11), GULag-Wall (12), SED-Mauer (13), Todeszone (14), Bolschewistische Mordgrenze (15), Kommunistische Sperrmauer (16), Klagemauer (17), Klowand (18), Sprüchewand (19), Sowjetschandmauer (20)
Die Neue Deutsche Wochenschau berichtete damals von den Ereignissen an der Sektorengrenze.
Der erste Wochenschaubeitrag zum Thema "Mauerbau: 13. August 1961" (NDW 603) wurde vollständig vom Berliner Kameramann Herbert Ernst gedreht.
Verboten: Berliner Mauerkunst - Eine Dokumentation von Ralf Gründer
Niemand hat die Absicht... - Eine Dokumentation von Ralf Gründer
Berliner Mauer in Zahlen (Stand: 30.12.1989)
Gesamtlänge der sowjetzonalen Sperranlage um Berlin (Westsektoren): 156,40 km*
Länge der innerstädtischen Sektorengrenze: 43,70 km
Länge der Zonengrenze zwischen Berlin (Westsektoren) und dem sowjetzonalen Umland (DDR): 112,70 km
Länge des Grenzsignalzauns: 175,77 km
Der vordere Sperrzaun hatte eine Ausbaulänge von: 171,17 km
Die Länge der Grenzmauer 75 betrug: 71,72 km
Die Grenzmauer in Plattenbauweise hatte eine Länge von: 59,00 km
Die Länge des Grenzzauns I mit Streckmetallbespannung hatte eine Ausbaulänge von: 70,45 km
Der Kolonnenweg diente den sogenannten „Grenztruppen“ zum schnellen Ortswechsel innerhalb ihres Handlungsbereichs und hatte eine Ausbaulänge von: 171,10 km
Der Kfz-Sperrgraben kam zum Einsatz auf: 79,40 km
Angaben zur Länge des Tunnelverhinderungsgrabens im Bereich der Heidelberger Straße liegen nicht vor.
Die hintere Grenzsignalanlage (GSA) „sicherte“ 291,60 km. Davon waren schon 140,30 km auf den GSSZ umgerüstet worden.
Die "Mauer" im Bereich der Heidelberger Straße. Foto: © Ralf Gründer ca. 1987
Die Hinterlandsicherung bestand aus 75,2 km Hinterlandmauer und 76,1 km Hinterlandzaun
Zur Führung der sogenannten „Posten″, „Postenführer“ und „Alarmgruppen“ sowie anderen Grenztruppeneinheiten der DDR kamen auf 156,4 km „Antifaschistischen Schutzwall“ 33 Führungsstellen (FÜSt), 119 B-Türme (BT-9), 63 B-Türme (BT-11) und 18 Postenhäuser zum Einsatz.
Die Lichtanlage diente zur taghellen Ausleuchtung der Todeszone und hatte eine Ausbaulänge von: 160,60 km
Scharfgemachte Hunde wurden als mobile Sperrelemente missbraucht und sicherten auf 11,20 km in sogenannten Hundelaufanlagen die DDR
Das BERLIN HANDBUCH (1992) gibt weiterhin Folgendes an (20):
1.693 Fälle → Schussabgaben durch die sogenannten Grenztruppen der DDR
- 20 Projektile verursachten Personenschaden
- 436 Projektile verursachten Sachschaden in Berlin (West)
14 Fälle - Schussabgaben durch West-Berliner Schutzpolizei
3.221 Personen wurden am „Antifaschistischen Schutzwall″ von den sog. Grenztruppen der DDR festgenommen
5.043 Personen wurden von der Schutzpolizei (West-Berlin) als Flüchtlinge registriert
- 565 Personen flohen/desertierten aus den Reihen der „Bewaffneten Organe″ der DDR (Fahnenfluchten)
38.942 Flüchtlinge verließen die DDR (lt. Angabe des Durchgangsheims für Aussiedler und Zuwanderer)
80 SED-Opfer starben an der Mauer (Flüchtlinge, Fluchthelfer, West-Berliner)
- 60 Personen starben durch DDR-Schusswaffengebrauch
- 118 Personen wurden durch Schusswaffenanwendung verletzt
35 Anschläge erfolgten gegen die Mauer (Sprengstoff etc.) von Berlin (West) aus.
Das wichtigste Sperrelement des „Antifaschistischen Schutzwalls" war der sogenannte Grenzsoldat.
Der Minister für Nationale Verteidigung Armeegeneral Heinz Hoffmann gab die Parole aus:
„Wer die Grenze nicht respektiert, bekommt die Kugel zu spüren. Und wenn wir schießen, dient das dem menschlichsten Ziel zu verhindern, dass in einem Krieg Deutsche gegen Deutsche schießen müssen!“
Quelle: Armeefilmstudio der NVA, Armeefilmschau, AFS 07/66 - 5.Jahrestag Mauerbau
Admiral Waldemar Verner definierte den Begriff „Gefechtsbereitschaft“ vor jungen Soldaten der NVA:
„Gefechtsbereit, liebe Genossen, ist der Grenzsoldat (...) dann, wenn er gewillt und auch in der Lage ist, die von ihm im Fahneneid geschworenen Pflichten treu und vorbildlich zu erfüllen, wenn er sich mit all seinen Fähigkeiten und seiner ganzen sozialistischen Persönlichkeit für das Vaterland einsetzt, wenn er über die bewusste Bereitschaft und Fähigkeit verfügt, auf den Feind auch zu schießen. Das heißt nichts anderes Genossen, Gefechtsbereitschaft ist die Summe all der Fähigkeiten und Eigenschaften, die der Armeeangehörige benötigt, den Sieg auf dem Gefechtsfeld zu erringen und den Gegner bedingungslos zu vernichten“
Quelle: Armeefilmstudio der NVA, Armeefilmschau, Signatur: AFS 03/67-1 - Gefechtsbereitschaft...
Bei Antritt zum Grenzdienst wurde jeder sogenannte Grenzsoldat „vergattert“. Die Vergatterungsformel befindet sich hier:
→ Dokumente zur Geschichte der DDR / Grenztruppen / Vergatterung
Dieser Vergatterung übergeordnet waren Befehle (z. B. Befehl 101/61 - Die Aufgaben der Grenztruppen im Ausbildungsjahr 1962) und Dienstvorschriften (z. B. DV-30/10 - Vorschrift über die Organisation und Führung der Grenzsicherung in der Grenzkompanie), die vom sogenannten Ministerium für Verteidigung bis zum Grenzregiment herunter jährlich bzw. alle zwei Jahre neu herausgegeben wurden. Diese schriftlichen Mordbefehle trugen allesamt den Stempel „Streng geheim". Der einfache Soldat bekam dieses schriftliche Regelwerk allerdings nicht zu lesen.
in arbeit ...
Erich Mielke sagte noch 1988 auf einer Dienstbesprechung: "...."
D. h., jeder sogenannte Grenzsoldat, vergattert und sozialistisch geschult war die perfekte Mordwaffe in der Hand der SED. Ohne das ihnen ein schriftlicher Befehl mit Unterschrift in die Hand gegeben wurde, schossen sie an der Sektoren- und Zonengrenze ihre Opfer erbarmungslos nieder und wer die Schüsse überlebte, wurde ohne medizinische Notversorgung so lange liegen gelassen, bis lebensrettende Maßnahmen nicht mehr möglich waren und nur noch der Tod diagnostiziert werden konnte.
Ein Offizier der sogenannten Grenztruppen definierte als wichtigste Eigenschaft des Grenzsoldaten die „absolute Wachsamkeit".
D.h., kein Anzeichen einer Flucht durfte übersehen und jeder entdeckte Flüchtling musste erbarmungslos „vernichtet″ werden.
Opfer dieser „doppelten Grenzmorde" wurden z. B.
Peter Fechter: 17. August 1962 [LINK]
Silvio Proksch: ....
Michael-Horst Schmidt: 30. November 1984
Hans Dieter Wesa:
Alle weiteren Elemente des „Antifaschistischen Schutzwalls", einschließlich von Bodenminen und Selbstschussanlagen, waren ohne den Schießbefehl (Schusswaffengebrauchsbestimmung) lediglich teure Makulatur.
Egon Bahr sagte in einer TV-Sendung ... folgendes:
„Würde die DDR den Schießbefehl aufheben, wären am nächsten Tag alle Leitern in der DDR ausverkauft".
Ein Offizier der sogenannten Grenztruppen der DDR beschrieb die Funktionen von mobilen und stationären Sperren wie folgt:
„..........".
Die DDR betrieb von 1962 bis 1989 organisierten Menschenhandel.
Zur Erzielung von dringend benötigten Devisen „erntete" das sogenannte Ministerium für Staatssicherheit der DDR insgesamt 33.755 Personen. Diese sogenannten Republikflüchtlinge wurden zu „Kriminellen" degradiert und als „politische Häftlinge" zu Devisen einbringender Ware. Die Bundesrepublik Deutschland bezahlte 3,5 Milliarden DM an die DDR und half auf diese Weise ungewollt mit, das Verbrecherregime SED am Leben zu erhalten.
Fußnoten:
1.) Mauer! Allgemeine im Westen verwendete Bezeichnung für den „Antifaschistischen Schutzwall″
2.) Schandmauer! Dieser Begriff fand sich u. a. auf Straßenschildern des Berliner Senats, z. B.: Straßensperrung verursacht durch Schandmauer
3.)Mauer der Schande! Willy Brandt (Regierender Bürgermeister von Berlin) benutzte diese Terminologie während seiner Stellungnahme zum kaltblütigen Mord an den Transportpolizisten Hans-Dieter Wesa und den Demonstrationen nach der (doppelten) Ermordung von Peter Fechter. RIAS, Die Zeit im Funk, Reporter: Peter Schultze, 24. August 1962.
4.) Blutmauer! Graffito an der Berliner Mauer
5.) Kerkermauer! 15 Jahre Mauer in Berlin, Axel Springer, Die Welt, 13. August 1976
6.) Ulbrichtmauer! Studio am Stacheldraht, Sendung vom 7. Oktober 1965
7.) Gefängnismauer! ...
8.) „KZ“-Mauer! Graffito an der Berliner Mauer
9.) Mordgrenze! Neuer Zwischenfall an der Mauer. Fernsehteam mobilisierte Vopos, Karl-Heinz Meier, Westfälische Rundschau, Dortmund (SPD), 20.06.1962
10.) „KZ″-Wand! Graffito an der Berliner Mauer
11.) Sperrmauer eines Konzentrationslagers! Willy Brand, Sondersitzung des Senates, 13. August 1961
12.) GULag Wall! 15 Jahre Mauer in Berlin, Axel Springer, Die Welt, 13. August 1976
13.) SED-Mauer! …
14.) Todeszone! Allgemeiner umgangssprachlicher Begriff für die Sperranlagen der DDR
15.) Bolschewistische Mordgrenze! 15 Jahre Mauer in Berlin, Axel Springer, Die Welt, 13. August 1976
16.) Kommunistische Sperrmauer! Korrespondent Hans Ulrich Kersten im Kölner Stadtanzeiger; Berliner durchbrachen mit LKW die Mauer, 10. April 1962
17.) Klagemauer! Wolfgang Neuss: Die Mauer
18.) Klowand! Birgitt Scharf alias Blume v./o. Luba Luft, Brief „Menschenknäuel“, datiert: 15.10.1990
19.) Sprüchewand! ...
20.) Karikatur "Vor aller Welt: 1 Jahr Sowjetschandmauer, in: Die Kleine Kurier-Wochenschau, in Kurier-Politik, Seite 2, 18. August 1962
21.) BERLIN HANDBUCH. Das Lexikon der Bundeshauptstadt, 1992
* Auskunftsbericht des Kommandeurs Grenzkommando Mitte, Stand: 14.12.1988
Die Berliner Mauer trennte Ostberlin von Berlin (West) und seinem Umland für 10680 Tage.
Tipp 1:
Ulbricht, Walter
Warum Mauer? Wie Lange Mauer? : Auf diese Fragen antwortet Ihnen der Vorsitzende des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik, Walter Ulbricht., [1963] / Walter Ulbricht. - Ill.
Tipp 2:
Weyrauch, Erdmann
Ulbrichts Mauer : Zahlen, Fakten, Daten / [zsgest. von Erdmann Weyrauch]. Hrsg. vom Bundesministerium für Gesamtdt. Fragen. - 4., durchges. und erg. Aufl. - Bonn [u.a.] : Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen, 1964. - 56 S.
Tipp 3:
Zum 13. August 1961: Willy Brandt und Walter Ulbricht : Rede von Willy Brandt 16.08.1961, Rede von Walter Ulbricht 18.08.1961 [Video] / SFB - Sender Freies Berlin. - 1997. - 1 Video (ca. 56 Min.)
Tipp 4:
SBZ von A bis Z : ein Taschen- und Nachschlagebuch über die Sowjetische Besatzungszone Deutschlands - 10.1966. - 10. -
ISSN 0563-0908
Befehl zur Herstellung der erhöhten Einsatzbereitschaft
Berlin, 13.8.61 : 01.00 Uhr
An den Vorsitzenden der Bezirkseinsatzleitung Genossen Paul Verner: Alarmstufe I
"Ab sofort ist die Alarmstufe I für die Einsatzleitungen des Bezirkes Berlin, ihrem Stab und für die Einsatzleitungen der Kreise mit ihren Stäben, durchzuführen."
.
Tipp: ..
Gespräch über Zonenflüchtlinge und deren Probleme
NDR/9.1.61/18.30/He
ANHANG I
Bundesminister Ernst Lemmer
Gespräch über Zonenflüchtlinge und deren Probleme
Sprecher: Herr Bundesminister, unter den 200000 Flüchtlingen das vergangenen Jahres 1960 befanden sich auch 4.000 SED Mitglieder, d-h. 4000 SED-Mitglieder, ohne ihre Familienangehörigen mitzuzählen. Diese Gruppe, die von drüben gekommen ist, stellt uns im Westen doch wohl vor besondere Probleme.
Lemmer: Wir müssen davon ausgehen, dass das Grundgesetz die Rechte und Pflichten der Bürger für alle festgelegt hat. Natürlich sind einige Probleme damit verbunden. Diese 4000, die zu uns kommen, setzen sich übrigens aus ganz verschiedenen Gruppen zusammen. Wir stellen fest, es sind beispielsweise frühere Sozialdemokraten, die damals ohne erst gefragt zu werden durch die Vereinigung der SPD mit der KPD SED-Mitglieder wurden.
Sprecher: Unter Druck der Besatzungsmacht doch wohl?
Lemner: Unter dem Druck der Verhältnisse, wie sie von der Besatzungsmacht bestimmt wurden. Dann gibt es enttäuschte Altkommunisten. Und dann gibt es - wie wir früher sagten - sog. Mitläufer.
Nun, mit einer solchen Situation haben wir es nun also zu tun. Dass hier Mitglieder der SED, die sie bisher waren, kommen und nun bei uns - sagen wir mal - irgendwie von ihrem Asylrecht in der ungeteilten deutschen Heimat Gebrauch machen.
Sprecher: Ja, aber es besteht doch ein gewisser Unterschied zwischen den SED-Mitgliedern, die kommen, und jenen Flüchtlingen, die ja in irgendeiner der großen Organisationen Mitglied waren. Was ja fast jeder muss, also z.B. im FDGB, die Jugendlichen in der FDJ, in der Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft, im Kulturbund, in der Gesellschaft für Sport und Technik usw., usw., was es da drüben alles gibt. Ist nicht aber doch die Mitgliedschaft in der SED etwas politischer zu nehmen?
Lemmer: Ja, selbstverständlich. Die Mitgliedschaft in diesen von Ihnen erwähnten Massenorganisationen ist überwiegend ohne eine politische Betonung anzusehen, während die SED eine politische Kampforganisation ist, die den Sowjetisierungsprozess in den vergangenen 16 Jahren im Gebiet der Zone getragen hat. Wir haben es hier z. T. sogar mit sehr militanten Gegnern zu tun. Wir können also SED-Mitgliedern im allgemeinen nicht ohne weiteres die gleiche Behandlung zuteilwerden lassen wie den Angehörigen der, von ihnen erwähnten Massenorganisationen.
Sprecher: Aber man schaut doch wohl jeden Einzelfall an. Die SED-Mitglieder stehen nicht unter einem Flüchtlingsausnahmegesetz?
Lemmer: Nein, nein, selbstverständlich nicht; denn ich darf Sie daran erinnern, dass ich ja wiederholt und erst noch kürzlich über den Westdeutschen und norddeutschen Rundfunk zum Ausdruck gebracht habe, dass wir in der Bundesrepublik, die wir den Vorzug haben, hier zu leben, gar nicht berechtigt sind, nun etwa hochmütig zu sein, wenn verzweifelte Menschen von drüben kommen; auch dann, wenn sie SED-Mitglieder waren.
Wir werden sie uns ansehen. Aber es gibt keine Inquisition. Das möchte ich hier ausdrücklich betonen. Und dass wir ihnen nun nicht gerade hier mit besonderer Herzlichkeit begegnen, wenn sie10, 15 Jahre lang sich immerhin als Helfer eines Regimes betätigt haben, dass wir ablehnen, das liegt auf der Hand.
Das bedeutet also, dass für die Beurteilung der bisherigen SED-Mitglieder, die von drüben kommen, die Bestimmungen unseres Strafrechtes massgeblich sind. Wer dagegen nicht verstossen hat, braucht nicht zu befürchten, im Bundesgebiet, im freien Teil Deutschlands, wegen einer gesinnungsmässigen Haltung oder wegen einer Mitgliedschaft in der SED verfolgt zu werden.
Quelle: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung - Pressearchiv
Zur Fluchtbewegung aus der Zone
RIAS II/19.1.61/19.00/00
ANHANG
Dr. Hans-Joachim v. Merkatz
Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte
Zur Fluchtbewegung aus der Zone
Sprecher:
Nicht so sehr plötzlich sensationell ansteigenden Flüchtlingszahlen gilt ihre besondere Sorge, Herr Minister, sondern dem ständig fliessenden Flüchtlingsstrom. Ich glaube, es besteht eine grosse Gefahr, dass wir uns einfach daran gewöhnen, dass es eben ein Flüchtlingsproblem gibt, dass eben dauernd Flüchtlinge von der Zone nach der Bundesrepublik hinüberkommen, und das wir langsam etwas gleichgültig werden.
v. Merkatz:
Der eigentlich bedrückende Tatbestand ist die Beharrlichkeit der Fluchtbewegung, die parallel läuft der Beharrlichkeit der kommunistischen Methoden, mit der die Gesellschaft in ihrer Struktur umgewandelt wird. Diese Beharrlichkeit führt dazu, dass sich die Menschen an einen solchen schrecklichen und völlig abnormalen Zustand gewöhnen, und in dem Masse, in dem sich unsere Bevölkerung an diesen Zustand gewöhnt und es als etwas naturgegebenes hinnimmt, besteht natürlich auch die Gefahr, dass das Ausland diesen Tatbestand in der Mitte Europas als einen normalen Zustand hinnimmt und ihn wenig beachtet.
Sprecher:
Von östlicher Seite werden hin und wieder sensationelle Zahlen veröffentlicht über sogenannte `Rückwanderer´, also Flüchtlinge, die nach der Bundesrepublik gegangen sind und von dort in die Zone zurückgegangen sind.
v. Merkatz:
Man muss hier so ein bisschen die Begriffe klarstellen. Rückwanderer nennt die Zone Menschen, die mal aus der Zone in die Bundesrepublik gegangen sind, dann wieder zurückgegangen sind. Rückwanderer nennen wir Menschen, die in die Zone gegangen sind, dann wieder zu uns gekommen sind. Das kehrt sich jeweils um. Exakte Zahlen über die Rückwanderungsbewegung können wir nicht, haben wir nicht, insbesondere, da die Angaben der Zone nicht stimmen, weil sie auch Manschen, Staatsangehörige, deutsche Staatsangehörige, die nur zu einem vorübergehenden Aufenthalt in die Zone gehen, weil sie auch die als Rückwanderer werten. Wir haben aber einen Anhaltspunkt, nach dem wir diese Zahl doch ermitteln können. Nach unseren Erfahrungen sind in unserem Sinne Rückwanderer, also Leute, die vom Osten nach dem Westen wieder zurückgehen und dort bleiben, das ist etwa ein Drittel der Bewegung, der Wanderungsbewegung von West nach Ost. Ein Drittel von denen kommen wieder. Und da haben wir die Zahlen 1957/58/59 je 9 000, und für das Jahr 1960, was interessant ist, weil es einen besonderen Druck darstellt, 12 000, also eine Erhöhung um 5 000 Personen, also schätzungsweise. Wenn das also ein Drittel sind von denen, die vom Westen wieder in den Osten gegangen waren, und dann zurückgingen, wenn das ein Drittel ist, dann kann man die Wanderungsbewegung von der Bundesrepublik in die Zone etwa bemessen auf in den drei Jahren 57/58/59 auf 27 000 : je Jahr und für das Jahr 1960 auf 56 000 Personen.
Sprecher:
Welche Motive können da ausschlaggebend gewesen sein?
v. Merkatz:
Ja, die Motive sind bei Menschen immer sehr unterschiedlich, weil sich da das individuelle Schicksal ja niederschlägt. Schätzungsweise nach unseren Erfahrungen etwa ein Drittel Unzufriedenheit, aus den verschiedensten Gründen. Die Hälfe familiäre Gründe, politische Gründe sind bei der Rückwanderungsbewegung von West nach Ost eigentlich in der Minderzahl, dazu kommt ein kleine Quote der Streuner, die sowieso kommen, ich möchte auch sagen, bei den Jugendlichen, die zurückgehen, vielfach so’no Art von politischer Neugier. Sie wollen's wohl wissen, wie es ganz genau ist, sie glauben es weder von der einen noch von der andern Seite. Nun diejenigen, die wir als Rückwanderer bezeichnen, d.h., die in die Zone zurückgegangen sind, aber dann endgültig wieder zu uns zurückkommen, da kehrt sich das Verhältnis geradezu um. Dort sind etwa ein Drittel echte politische Motive und die Hälfte allgemeine Unzufriedenheit teils politischer, teils gesellschaftlicher, teils auch ganz privater Natur.
Überprüft: Co
Quelle: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung - Dokumentationsarchiv, Datei: RIAS-Merkatz-19011961-Fluchtbewegun