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IV. Die Reparationsleistungen

Die sowjetischen Behauptungen:

In der sowjetischen Note heißt es, die Westmächte hätten ungefähr ein Jahr nach dem Kriege begonnen, in Deutschland eine den Bestimmungen des Potsdamer Protokolls zuwiderlaufende Politik zu betreiben. Der Note zufolge war daran die heftige ideologische Auseinandersetzung schuld, die die Zusammenarbeit der Kriegszeit ins Gegenteil verkehrte. Sie bezichtigt die Westmächte, der UdSSR die ihr zustehenden deutschen Reparationsleistungen vorenthalten zu haben. In der Note heißt es:

Die erste Verletzung des Potsdamer Abkommens bestand darin, daß die Regierungen der USA, Großbritanniens und Frankreichs sich weigerten, ihren Verpflichtungen aus dem Abkommen hinsichtlich der Übergabe der vereinbarten Menge an Industrieausrüstungen aus Westdeutschland nachzukommen, die die Sowjetunion als teilweise Wiedergutmachung für die Zerstörungen und Schäden erhalten sollte, die die Aggression Hitler-Deutschlands der Volkswirtschaft der UdSSR zugefügt hat.

Dies sind die Tatsachen:

1. Gemäß den Bestimmungen des Potsdamer Protokolls sollte die UdSSR aus den westlichen Besatzungszonen 15 Prozent einzeln aufgeführter Industrieanlagen, die ihrer Art nach für die deutsche Friedenswirtschaft bedeutungslos waren, und zwar im Austausch gegen Nahrungsmittel und andere Rohstoffe im gleichen Wert und dazu weitere 10 Prozent ohne Gegenleistung erhalten. Die Reparationsleistungen sollten dem deutschen Volk ausreichende Anlagen belassen, um sich ohne fremde Hilfe ernähren zu können. Ferner war vorgesehen, Deutschland „als eine wirtschaftliche Einheit“ zu behandeln.

2. Die Sowjetunion hat für große Produktionsgüterlieferungen aus den Westzonen keine Kompensationslieferungen an Lebensmitteln und anderen Rohstoffen geleistet.

3. Die USA haben die Reparationslieferungen eingestellt, weil es die Sowjetunion ihrerseits verabsäumt hat, das Potsdamer Abkommen in seiner Gesamtheit zu erfüllen.

4. Zu einer Zeit, da die Westmächte gezwungen waren, Importe nach Deutschland zu finanzieren, um ein Mindestwirtschaftsvolumen aufrechtzuerhalten, preßte die Sowjetunion weiterhin laufend Reparationsleistungen aus ihrer Zone heraus. In Wirklichkeit liefen die damaligen Reparationslieferungen an die UdSSR, da die USA ihre eigene Zone unterstützen mußten, um durch sowjetische Verletzungen des Potsdamer Abkommens entstandene Lücken zu schließen, darauf hinaus, daß die UdSSR Reparationen von den USA kassierte.

Das vom 1. August 1945 datierte und von den Regierungschefs der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und der UdSSR unterzeichnete Potsdamer Protokoll sah hinsichtlich der Reparationen, die die UdSSR von Deutschland erhalten sollte, folgendes vor:

(1) Die Reparationsansprüche der UdSSR sollen durch Entnahmen aus der von der UdSSR besetzten Zone in Deutschland und durch angemessene deutsche Auslandsguthaben befriedigt werden.

(2) In Ergänzung der Reparationen, die die UdSSR aus ihrer eigenen Besatzungszone erhält, wird die UdSSR zusätzlich aus den westlichen Zonen erhalten:

a) 15 Prozent derjenigen verwendungsfähigen und vollständigen industriellen Ausrüstung, vor allem der metallurgischen, chemischen und maschinenerzeugenden Industriezweige, die für die deutsche Friedenswirtschaft unnötig und aus den westlichen Zonen Deutschlands zu entnehmen ist, im Austausch für einen entsprechenden Wert an Nahrungsmitteln, Kohle, Kali, Zink, Holz, Tonprodukten, Petroleumprodukten und anderen Waren, nach Vereinbarung.

b) 10 Prozent derjenigen industriellen Ausrüstung, die für die deutsche Friedenswirtschaft unnötig ist und aus den westlichen Zonen zu entnehmen und auf Reparationskonto an die Sowjetregierung zu übertragen ist ohne Bezahlung oder Gegenleistung irgendwelcher Art.

(3) Die Bezahlung der Reparationen soll dem deutschen Volk genügend Mittel belasien, um ohne eine Hilfe von außen zu existieren. Bei der Aufstellung des Haushaltsplanes Deutschlands sind die nötigen Mittel für die Einfuhr bereitzustellen, die durch den Kontrollrat in Deutschland genehmigt worden ist. Die Einnahmen aus der Ausfuhr der Erzeugnisse der laufenden Produktion und der Warenbestände dienen in erster Linie der Bezahlung dieser Einfuhr.

Diese Klausel sollte nicht auf die Ausrüstungen und Waren Anwendung finden, auf die Punkt (2) oben Bezug nimmt.

(4) Während der Besatzungszeit ist Deutschland als eine wirtschaftliche Einheit zu betrachten. Mit diesem Ziel sind gemeinsame Richtlinien aufzustellen hinsichtlich: . . . d) des Import- und Exportprogramms für Deutschland als Ganzes~ f) der Reparationen und der Beseitigung des militärischen Industriepotentials; g) des Verkehrs- und Nachrichtenwesens.

Die USA nahmen am 31. März 1946 die Reparationslieferungen an die UdSSR auf, und bis zum 1. August 1946 hatte die UdSSR 11 100 t Reparationsgüter aus der Kugellagerfabrik Kugel-Fischer in Schweinfurt, dem unterirdischen Flugmotorenwerk der Daimler/Benz in Obrigheim, den Werftanlagen der Deschimag in Bremen/Weser und dem Kraftwerk Gendorf erhalten. Demgegenüber hielt sich die Sowjetunion nicht an die von ihr übernommene Verpflichtung, im Austausch für einen Teil der Reparationslieferungen aus den Westzonen Lebensmittel, Kohle, Kali, Zink, Holz und andere Erzeugnisse aus der Sowjetzone an die Westzonen Deutschlands zu liefern.

Die sowjetische Note wirft den Westmächten vor, die hier unter (2) genannten Reparationslieferungen nicht eingehalten zu haben, verschweigt jedoch, daß die Westmächte diese Lieferungen erst einstellten, nachdem die Sowjetunion gegen Punkt (3) und (4) verstoßen und ihre Verpflichtungen nach (2a) verletzt hatte. Darüber hinaus wurde klargestellt, daß es sich nur um einen vorübergehenden Lieferstop handeln sollte, der so lange andauern würde, bis die UdSSR willens wäre, das Potsdamer Abkommen als Ganzes zu erfüllen. Da die UdSSR dazu nie bereit war, wurden die eingestellten Lieferungen auch nie wieder aufgenommen.

Die UdSSR wünschte von Deutschland Reparationsleistungen im Wert von 10 Milliarden Dollar. Sie hatte diesen Betrag auf der Konferenz von Jalta im Februar 1945 verlangt. Ihr Vorschlag wurde aber von den USA und Großbritannien weder in Jalta, noch danach akzeptiert. Gleichwohl verhielt sich die UdSSR bei der Beitreibung der Reparationen so, als ob man sich über diesen Betrag geeinigt hätte, trotz der klaren Feststellung des Potsdamer Protokolls, daß in bezug auf die Reparationen noch eine „gemeinsame Politik“ festzulegen sei.

Deutschland war zur Zeit der Potsdamer Konferenz wirtschaftlich ein Zuschußgebiet, das umfangreiche Importe benötigte, um seine Wirtschaft wenigstens auf einem Mindeststand zu halten. Aus diesem Grunde bestanden die Westmächte darauf, jene Bestimmungen in das Potsdamer Protokoll aufzunehmen, daß die Bezahlung von Reparationen dem deutschen Volk genügend Hilfsquellen belassen solle, um ohne Hilfe von außen zu existieren, daß für die notwendigen Mittel zur Bezahlung der notwendigen Importe Vorsorge getroffen werden müsse und daß die Einnahmen aus der laufenden Produktion und den Warenbeständen in erster Linie für die Bezahlung derartiger Importe zur Verfügung stehen sollten. Mit anderen Worten sollte also der Ertrag aus der laufenden Produktion nicht für Reparationen verwendet werden, wenn er zur Bezahlung der notwendigen Importe gebraucht wurde. In Verletzung dieser Abkommen zogen die Sowjetbehörden umfangreiche Reparationsleistungen aus der laufenden Produktion der sowjetischen Besatzungszone und weigerten sich, über diese Entnahmen aus Ostdeutschland Rechenschaft abzulegen.

Infolge der geschilderten sowjetischen Verletzungen des Protokolls von Potsdam und der sowjetischen Weigerung, Deutschland als eine wirtschaftliche Einheit zu behandeln (so daß die Hilfsquellen ihrer Zone der gesamtdeutschen Wirtschaft zur Verfügung gestanden hätten), mußten die USA und Großbritannien ihre Zonen in Deutschland finanziell unterstützen, um das Wirtschaftsminimum aufrechtzuerhalten. Ein Jahr nach der Potsdamer Konferenz berichtete der amerikanische Militärgouverneur in Deutschland:

Die US-Zone ist von jeher auf Kohle und Stahl aus der britischen Zone, auf Nahrungsmittel und Saatgut aus der sowjetischen Zone, auf Düngemittel und Weißblech aus der französischen Zone angewiesen. Die USA geben heute vielleicht 200 Millionen Dollar im Jahr — über eine halbe Million Dollar pro Tag — aus, um Hunger, Krankheit und Unruhen in der US-Zone zu verhüten. Ohne freien Handel mit anderen Teilen Deutschlands und ohne ein gemeinsames Exportprogramm kann sich die US-Zone nicht aus eigener Kraft versorgen.

In Wirklichkeit gestatteten die Vereinigten Staaten dadurch, daß sie Reparationen an die Sowjetunion lieferten und gleichzeitig ihre eigene Zone unterstützten, um die durch sowjetische Verletzungen des Potsdamer Protokolls verursachten Lücken zu schließen, der UdSSR, Reparationen von den USA statt von Deutschland zu beziehen. Angesichts dieses Sachverhalts suspendierten die USA die Reparationslieferungen aus der US-Zone an die UdSSR so lange, bis die Sowjetunion gewillt wäre, das Protokoll von Potsdam als Ganzes zu erfüllen.